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Morgaine Schäfer oder die Magie der Verdoppelung

Entrückt und zugleich von intimer Nähe: In Braunschweig und in ihrer Heimatstadt Wolfsburg bezaubert Fotokünstlerin Morgaine Schäfer mit ihren Bild-in-Bild-Kompositionen

Von Bettina Maria Brosowsky

Es ist mitunter interessant, wie Künst­le­r:in­nen zu ihrer Kunst und zu ihrem eigenen Medium finden. Im Falle der mit Fotografie und installativen Formen arbeitenden Morgaine Schäfer begann alles mit dem Kunstverein Wolfsburg.

Schäfer, 1989 in der norddeutschen Autostadt geboren, nahm 2008, damals gerade mal Abiturientin, an dem Preis des Kunstvereins, dem „arti“, teil. Sie schaffte es mit einer Sound-Installation gleich in die Ausstellung der Nominierten. Dieser 2006 ins Leben gerufene und alle zwei Jahre themengebunden ausgelobte Kunstpreis richtet sich an professionelle Künst­le­r:in­nen wie Ama­teu­r:in­nen gleichermaßen, und eben auch an Schüler:innen, die älter als 17 Jahre sind. Die Voraussetzung: der Lebensmittelpunkt ist Wolfsburg. Zehn Jahre danach, nun schon professionelle Fotokünstlerin und für kurze Zeit zurück in der Heimat, errang Schäfer dann den zweiten Preis beim „arti“.

Gerade richten das Museum für Photographie in Braunschweig und demnächst auch der Kunstverein Wolfsburg eine umfassende Einzelausstellung von Morgaine Schäfer aus. Und es ist erstaunlich, was die 34-Jährige mittlerweile alles vorzuweisen hat. Aber der Reihe nach: Im Anschluss an ihr Abitur und wohl beflügelt durch ihren Wolfsburger Erfolg, studierte Schäfer an der Kunstakademie Düsseldorf. Da sie, nach eigener Einschätzung, nicht besonders gut zeichnen – und wohl auch malen – kann, konzentrierte sie sich auf Fotografie als Medium. Im Jahr 2017 wurde sie Meisterschülerin bei Christopher Williams. Der US-Amerikaner folgt einer recht eigenwilligen Form fotografischer Praxis, die man etwa 2018 in der Kestner Gesellschaft Hannover bestaunen konnte. Er demonstrierte dort, wie er vertraute Motive einsetzt, sogenannte Appropriationen aus der Werbung oder Industriefotografie, indem er sie abfotografiert und so ihrem ursprünglichen Verwertungszusammenhang entnimmt – Konzeptfotografie also.

Seine Hannoveraner Inszenierung mit bewusst zu hoch oder zu tief gehängten, perfekten Hochglanzabzügen sollte zum intensiven, ja fast: obsessiven Akt visueller Analyse herausfordern. So weit geht Schäfer nicht, aber auch sie verwendet vorgefundenes Bildmaterial, das sie variantenreich in neue Bildzusammenhänge einbaut. Die man dann auch genau anschauen muss, um feine Verschiebungen oder andere Irritationen zu bemerken. Ihr Bildarchiv aber ist, im Gegensatz zu Williams’, sehr persönlich: Schäfer hat von ihrem Vater – Westdeutscher – ein großes Diakonvolut aus den 1970er- und 80er-Jahren übernommen. Darin ist häufig Schäfers Mutter abgebildet – sie stammt aus Polen – und die große polnische Familie während wechselseitiger Besuche, auch in der Heimat.

In ihrer Abschlussarbeit setzte Schäfer diese Dias dann konsequent in Szene. Sie hielt einzelne gerahmte Exemplare mit dem Abbild ihrer Mutter in der Hand, bildete so, in klassischen Posen, das Sujet großformatiger Selbstporträts, oder besser: Doppelporträts der Kategorie „Bild im Bild“. Mit einer hochauflösenden professionellen Digitalkamera durch eine Fotografie-Kollegin, jedoch nach genauen Angaben Schäfers angefertigt, stehen diese perfekten, übernatürlich durchgezeichneten Aufnahmen noch in der Tradition der Glamour-Ästhetik Williams’.

Mit einer textilen Umgebungsinstallation verankerte sie die Bildergebnisse jedoch in einen häuslichen, betont privaten Verweis. Diese Arbeit, „Westen – wschód“ ihr Titel, ist im Braunschweiger Haus nun in Teilen nachempfunden. Sie trug Schäfer noch 2017 ihre erste professionelle Auszeichnung ein, den Ehrenhof-Preis des Düsseldorfer Kunstpalasts.

Die Familiendias begleiteten sie dann auch 2018 während eines Stipendiums in Israel. Dort verhalf das intensive mediterrane Licht den Stücken zu einem neuartigen Auftritt: Schäfer konnte sie direkt in ihr Skizzenbuch projizieren – und fertigte davon wiederum präzise Situationsfotos an. Als übereck gehängte Triptychen arrangiert, werden sie mit assoziativen Texten Schäfers zum Bildmotiv, etwa der genüsslich rauchenden Mutter, zu kleinen Erzählungen montiert.

Aber es ist wohl nicht simple Manie oder nur eine familiäre Verlusterfahrung nach der Trennung der Eltern, die Schäfer immer wieder auf die väterlichen Dias zurückgreifen lassen. Die Bilder dokumentieren nämlich, jenseits aller privaten Bildgeschichten, auch die politischen, kulturellen wie mentalen Divergenzen zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Da wird etwa ein VW-Porsche Spider, hierzulande mitunter als „Studentenporsche“ verulkt, zur Inkunabel westlichen Konsum- wie Lebensstils und folglich zur begehrten Staffage individueller Inszenierungen.

Als Rohmaterial nutzt sie ein Konvolut privater Dias ihres Vaters aus den 1970er- und 80er-Jahren: Es enthält Szenen ihrer deutsch-polnischen Familiengeschichte

Viele Bilder zeigen zudem Einkaufszenen: mit der polnischen Verwandtschaft an den Wühltischen Braunschweiger Ladenlokale oder, in Polen, in westlich anmutenden Geschäftsstraßen. Letztlich lassen sich auch nationale Identitäten in alltägliche Situationen runterbrechen und vermögen visuell zu überzeugen, wenn sie intuitiv und beiläufig festgehalten werden.

Für neuere Werkserien hat Schäfer die eigene Hand als Trägerin der Bildinformation durch Aufnahmen mit dem Smartphone ersetzt, die räumlich realistische Präsentation durch eine flächige, betont geheimnisvolle abgelöst. Sie konzentriert sich dabei auf Sequenzen oder vergrößerte Bildausschnitte, die sie am Leuchttisch aus den Dias generiert und anschließend mit Abzügen übereinanderlegt und wiederum abfotografiert. Erst auf den zweiten Blick erkennt man die Abweichungen: Motive, die sehr ähnlich, aber eben nicht identisch sind, Personen in Bewegung, die ein kleines Stück weitergegangen sind, farbige Extrakte, die sich nicht unmittelbar zuordnen lassen.

Diese mysteriösen Bilder erklären dann auch den von Lewis Carroll entlehnten Ausstellungstitel: Hinter dem Spiegel, der Fotografie, eröffnet sich eine ganz eigene, parallele Welt. Und in die kann man dann auch in Wolfsburg eintauchen: Im „Raum für Freunde“ des Kunstvereins wird Morgaine Schäfer Impressionen aus dem Haus ihrer Großmutter zeigen. Sie verstarb im letzten Sommer, aber alles blieb noch eine Weile komplett eingerichtet: ein konservierte Zeit, der Schäfer mit alten Dokumenten nachspürt.

Morgaine Schäfer. Through the Looking Glass, Museum für Photographie, Braunschweig, Di–Fr. 13–18 Uhr, Sa & So. 11–18 Uhr. Bis 9. 4. Inside, Kunstverein Wolfsburg, ab 24. 2., bis 7. 5

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