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kritisch gesehen: „der sandmann“ in hamburgDer Schrecken, der Schrecken

Menschen und Maschinen: Nahezu gleichzeitig mit Mary Shelleys „Frankenstein“, 1816 nämlich, legte E.T.A. Hoffmann mit „Der Sandmann“ noch einen Schlüsseltext zum Verständnis des modernen Menschen vor. Als „prototypisch“ bezeichnet die Erzählung auch Charlotte Sprenger, die sich den „Sandmann“ für eine musiktheatrale Bearbeitung am Hamburger Thalia-Theater vornehmen durfte. Nach Inszenierungen in der kleinen Altonaer Spielstätte ist es ihre erste Regiearbeit auf der großen Thalia-Bühne.

Eine Bearbeitung im doppelten Sinne: Zur Vorlage dient eine existierende Opernfassung des US-amerikanischen Regisseurs Robert Wilson. Der am Thalia selbst gern gesehene Gast hatte sich den schaurigen Stoff 2017 vorgenommen, mit Musik der nocturnen Popmusikerin Anna Calvi; „There’ll be a horror“ heißt einer ihrer „Sandmann“-Songs: Es wird einen Schrecken geben.

Ganz Moderne-Erklärer, lässt Hoffmann das Schaurige im Innern des Menschen mindestens so sehr wurzeln wie in äußerlichem Spuk. Sein Text rekurriert auf die traumatisierenden Erziehungskniffe der Mutter (in Hamburg: Gabriela Maria Schmeide); auf deren einschüchternde Erzählung also von der unartige Kinder blendenden Titelfigur. Und dann geht es ja auch noch ums so heutige Verwirrspiel um Menschlichkeit und deren Nachbildung, die das Begehren des traumatisierten Nathanael (Merlin Sandmeyer) auf sich zieht. Dass der Text Sigmund Freud zu einem viel beachteten Aufsatz inspirierte: nur folgerichtig.

Wilsons eigener „Sandmann“ steht dieser Tage in Düsseldorf wieder auf dem Spielplan. Von einem typischen – man­che*r sagt: erwartbaren – Tableautheater, mehr aufs Bildstarke setzend als auf eine Erzählung, löst sich die Hamburger Inszenierung einerseits; Bühne, Kostüm und Licht (Aleksandra Pavlović, Bettina Werner, Christiane Petschat) wollen etwas ganz anderes, und wo Wilson so gerne weißgesichtigen Expressionismus sampelt, sehen wir Nathanaels mentalem Meltdown nun im Ambiente eines vielleicht spätsozialistischen Arbeiter-­­_innen-Erholungsheimes zu, in dem die Hauptfigur den eigenen Leichenschmaus ausrichten lässt; dazu spielt ein U-Musik-Trio Calvis trügerisch leichtfüßige Songs.

Andererseits bleibt als Gemeinsames eine Art Traumlogik, die auch als Abwesenheit von Handlung verstanden werden kann. Bloß hieße da ein Defizit erkennen: ihn gründlich missverstehen, diesen gekonnt mit Nerven- und anderem Zusammenbruch spielenden Abend, der dabei überraschend gut zu unterhalten weiß.

Der Sandmann. Oper von Anna Calvi und Robert Wilson nach E.T.A. Hoffmann. Nächste Vorstellungen: 22. + 28. 2.; 4., 28. + 31. 3., Hamburg, Thalia Theater

Alexander Diehl

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