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Tanz den Walter Ulbricht

Schwerin bringt das Verhältnis von DDR und BRD zum Swingen: Als Musical funktioniert Christa Wolfs „Der geteilte Himmel“ dank Wolfgang Böhmers schlauer Komposition

Von Jens Fischer

Passt das, was die Schweriner da anstellen? „Der geteilte Himmel“ – ausgerechnet als Musical? Die deutsche Teilung am Beispiel einer scheiternden Liebe aus der Ost-Perspektive kennenlernen zu können, darum haben viele Nachgeborene die Erzählung von Christa Wolf gelesen. Sie spielt zu Beginn der 1960er-Jahre und beschreibt den Riss im Leben der empfindsam-klugen Rita und dem etwas hochmütig-schlauen Manfred. Mit romantischem Überschwang verlieben sie sich ineinander – um sich dann in funkelnder Unbedingtheit zu lieben.

Aber das junge Mädchen vom Dorfe, das gerade ihre Lehramtsausbildung beginnt, und der zehn Jahre ältere, aus großbürgerlichem Haushalt stammende Chemiker verlieren einander bald wieder, weil beide aufgrund ihres Charakters und ihrer Biografie grundsätzlich andere Sichtweisen auf das Leben nach der SED-Norm unterm Banner des Sozialismus entwickelt haben. Sie mit energischer Unschuld, er mit schnoddrigem Zynismus. Aller Zweifel zum Trotz versuchte Christa Wolf eine überzeugen wollende Beschreibung von Ritas Hingabe an die noch rührend rein erscheinende DDR-Utopie. Was sich aus heutiger Sicht als tragisch erweist, weil die Um- und Aufbruchstimmung bereits von Mangelwirtschaft, paralysierender Bürokratie, Bespitzelung, Dogmatismus, Intoleranz, Parteidiktatur untergraben wird.

Diesen Grauschleier entfernt nun das Staatstheater Schwerin – entkleidet den Stoff seiner literarischen Eloquenz und entdeckt die Musicalnatur. Die durchaus schnulzige Liebesgeschichte in humorvoll gezeichneter Alltagswelt erweist sich als Basis eines wirklich swingenden Konflikts, nämlich dem Aufeinandertreffen von Ritas gelebter sozialer Verantwortung als DDR-Aufbauhelferin und „individualistischem Defätismus“. So nennt das Regime zumindest Manfreds analytische Kritik an der Enge und Beschränktheit in dem Land: Er begeht laut SED-Propaganda „Verrat“ mit seiner Flucht nach West-Berlin.

Rita folgt ihm nicht, entscheidet sich also gegen das private Glück. Treu hält sie am Glauben fest, die politischen, wirtschaftlichen und menschlichen Unzulänglichkeiten des Ulbricht-Staates seien nur anfängliche Probleme, auf dass sich bald ein neues gesellschaftliches Lebensgefühl und die moralische Überlegenheit des Systems bewahrheite.

Dieser leicht Ost-propagandistische Ansatz wird auf der Bühne zur moralischen Vorbildmalerei, bitteschön mehr vom Leben zu wollen als die Versprechen des westdeutschen Wirtschaftswunders. Ein von Musicals erwartetes Happyend kann allerdings auch das Theater nicht herbeizaubern. Obwohl die traurige Rahmenhandlung gestrichen ist, also dass Rita ihre Geschichte nach einem Selbstmordversuch erinnert.

Der Autor der Spielfassung, Schwerins ehemaliger Opernchef Martin Berger, hat für die Uraufführung eine andere Perspektive eingebaut. Er erfindet das Zusammentreffen von Ritas Enkelin und einem Manfred im fortgeschrittenen Seniorenalter hinzu. Verbittert sei er, meint sie. Realistisch nennt er rückblickend seine grummelige Weltsicht. Rita sei „vom Sozialismus überzeugt, aber von Dir besessen“ gewesen, sagt die Enkelin.

Dass beide aber von heute aus auf die Probleme am Vorabend des Mauerbaus gucken, ist leider nicht der Fall. Stattdessen inszeniert Choreografin Melissa King in Orwo-Color leicht karikierende Szenen mit Thesenträgerfiguren auf dem Rummel- und am Arbeitsplatz, bei einer Party, einem Empfang der High-SED-Society und in den Plauder- wie auch Singpausen der Werktätigen.

Es treten auf die 120-prozentig Überzeugten und freudig Engagierten, die „aus ideeller Überzeugung freiwillig zu mehr Leistung aufrufen“, aber auch die Pragmatiker und opportunistischen Mitmacher als Normendrücker in der Sozialistischen Brigade eines Waggonbauwerks, in dem Rita die proletarische Wirklichkeit erkundet. Leider keine Ausnahmeerscheinung in der DDR ist Manfreds Vater, der seine Naziuniform auszieht und SED-Mitglied wird, um weiter Karriere zu machen.

Die Choreografie veranstaltet eine ziemliche Kasperei, die erst nervt und dann zunehmend peinlich wird

Die Musik von Wolfgang Böhmer hat Drive, biedert sich weder dem klangsteril designten Pathos populärer Musicals noch der Sehnsucht nach Ohrwurmmelodien an. Zupackend, wie er höchst unterschiedliche Rhythmen miteinander verknüpft und für jede Situation etwa Stilmittel der Oper, Operette, neuen Musik, Marschmusikliteratur, des Rock und Jazz in philharmonischen Bigband-Arrangements ganz natürlich ineinanderfließen lässt – dabei aber das brüchige Kurt-Weill-Idiom stets bewahrt. Sehr reizvoll dazu der Mix von miteinander flirtendem Opern- und Musicalgesang auf der Bühne, passend weltfremd wirkt nur Manfreds Mutter mit ihren Koloraturjonglagen.

Fehlt zum opulenten Sinnenschmaus nur noch etwas Ballett. Da wirbelt das Staatstheaterensemble um Rita herum, wie Flugzeuge in ihrem Bauch und verrenkt sich paarbildend, was vielleicht auf akrobatische Sexpraktiken verweist. Die Tänzer:in­nen heben und senken aber auch Sitzquader, was irgendwie Manfreds Laborarbeit illustrieren soll, tanzen FDJ-formatiert jugendliche Ausbrüche, oder geben sich mäßig überzeugend der Friedrichstadtpalast-Revue-Wirbelei hin. Das alles ist eine ziemliche Kasperei, die erst nervt und dann zunehmend peinlich wird. Gerade gegen die arg glatte Regie-Routine hätten körpersprachliche Befreiungen helfen können.

Davon abgesehen gelingt es, 61 Jahre nach dem Mauerbau an das deutsch-deutsche Leid mit fideler Sentimentalität zu erinnern, auf dass eine zuckersüß schmerzhafte Ostalgie-Party entsteht. Dabei wurde die Vorlage zwar arg verkürzt, die Aufführung feiert aber in der Musical-Pointierung höchst liebevoll den einst missbrauchten, trotzdem aktuellen Idealismus, suchen doch viele weiterhin auf dem blutigen deutschen Boden nach einer endlich mal gerechten Alternative zum Kapitalismus.

Der geteilte Himmel. Musical, wieder am 18. 2., 4. und 23. 3., jeweils 19.30 Uhr, 26. 3. 18 Uhr, Mecklenburgisches Staatstheater, Großes Haus

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