Kleine Erfolge zelebrieren: Das große Potenzial der kleinen Momente

Frustration über die großen Probleme unserer Zeit? Legitim, findet die Autorin. Aber es gilt, auch die kleinen Erfolge anzuerkennen.

gelber Fahrkartenautomat mit der Aufschrift "Tickets" an einem Bahngleis

Das Deutschlandticket wird die Klimakatastrophe nicht abwenden, aber es ist ein erster Schritt Foto: Bernd Weißbrod

Von NISA EREN

taz lab, 26.01.2023 | In unserer Welt will ich nicht alt werden. Klimakrise, Menschenrechtsverletzungen, Klassismus, Patriarchat – große Schlagworte für große Probleme, die eine noch größere Frustration in mir auslösen. Ihre Größe ist überwältigend und sie lädt verführerisch dazu ein, mich von ihr lähmen zu lassen.

Aber ich kann mich diesen Themen nicht entziehen. Das ist für mich erstens unmöglich und zweitens nicht zufriedenstellend. Ich frage mich oft, wie ich mit jenen großen Problemen umgehen soll, wenn ich mich ständig gewollt oder ungewollt mit ihnen konfrontiert sehe.

Meine Frustration ist legitim, finde ich, und nichts nervt mehr, als mir in einem Moment des Missmuts noch anhören zu müssen, dass ich doch zuversichtlich sein soll. Zuversicht fällt mir in Hinblick auf die Gesamtheit aller aktuellen Entwicklungen schwer.

Unsere Kolumnistin Nisa Eren schreibt diese Woche für die taz-lab-Kolumne "träum nicht weiter" über die kleinen Erfolge. Foto: Anke Phoebe Peters

Den Blick vom großen Ganzen abwenden

Vielleicht aber kann ich genau da ansetzen. Wenn ich versuche, immer das große Ganze im Blick zu behalten, vergesse ich nämlich häufig etwas: Zu selten erkenne ich kleine Momente des Erfolgs an. Zu oft denke ich beim Hören einer eigentlich guten Nachricht: „Aber das reicht doch bei Weitem nicht aus.“ Und meistens reicht es eben noch bei Weitem nicht aus.

In mir ergibt sich dann ein Spannungsfeld zwischen dem Anspruch, mich nicht mit zu wenig zufriedenzugeben einerseits und der nötigen Wertschätzung für einen Schritt in die richtige Richtung andererseits.

Ein Beschluss, der enttäuscht

Ich muss dabei zum Beispiel an den Beschluss des Deutschlandtickets denken, das ab Mai bundesweit als Nachfolge des 9-Euro-Tickets erhältlich sein soll. Das Ticket allein wird nicht die Klimakatastrophe abwenden, noch wird es für am Existenzminimum lebende Menschen überhaupt erschwinglich sein.

Anfang Januar war ich in Luxemburg, wo der öffentliche Nahverkehr für alle Menschen kostenlos ist. Da kommt das Deutschlandticket mit seinem Preis von 49 Euro nicht einmal annähernd heran.

Erfolge im kleinen Maßstab
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Die Enttäuschung darüber erschwert es mir, die Vorteile des Deutschlandtickets anzuerkennen. Denn die gibt es, wenn auch nur im kleinen Maßstab. Ein Deutschlandticket für 49 Euro ist besser als kein Ticket, zumindest für eine bestimmte Zielgruppe.

Nur wenn ich es schaffe, diese kleinen Erfolge zu würdigen, wird es möglich, ihr Potenzial vollkommen auszuschöpfen. Und ich muss zu­geben, es stimmt mich sogar ein kleines bisschen zuversichtlich.

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