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Statt Klassenkampf nur freundliche Wut

Ein kleines bisschen politische Empörung: Daniele Szeredys Theaterstück „Der Weg der Arbeitenden Klasse ins Paradies“ in Braunschweig bleibt lehrstückhaft plakativ. Revolutionieren wollen darin alle nur die eigenen Arbeitsbedingungen

Von Jens Fischer

„Wer steht denn heute noch auf, nicht mal die Arbeiterklasse“, hieß es kürzlich in einem Text von Elfriede Jelinek im Kleinen Haus des Staatstheaters Braunschweig. Wie zum Beweis liegt sie nun eine Etage höher im „Aquarium“ chronisch übermüdet und gelangweilt von sich selbst auf dem Boden, in Gestalt von drei exemplarischen Vertretern: die Arbeiterklasse.

Klar, dass sie mit revolutionärem Furor zum Totengräber des Kapitalismus werden sollte, hat nicht so funktioniert. Aber dass sie in ihrer modernen Vereinzelung unorganisiert vor sich hindämmert, das will Regisseur und Autor Daniele Szeredy mit seinem Theaterstück ändern. Gilt es doch, sich die entfremdete Arbeit, Machtmissbrauchsverhältnisse und Entmenschlichung des Individuums bewusst zu machen, um Widerstandsenergien freizusetzen oder gar einen kleinen Aufstand zu inspirieren. Eine symbolische Mauer gelte es zu zertrümmern, hinter der auch für mittlere und untere Lohngruppen ein Morgenrot leuchtet. Hehre Ziele, die da in Szeredys Stücktext durchschimmern. „Der Weg der Arbeitenden Klasse ins Paradies“ ist das Werk betitelt und bezieht sich auf den gleichnamigen Film aus dem Jahr 1971, in dem Elio Petri und Ugo Pirro soziale Analyse mit politischer Empörung verbinden.

Kunstlos dokutheatert

Daraus ist aber eigentlich nur der archetypische Malocher-Protagonist übriggeblieben, der sich als menschliche „Maschine“ unter den Maschinen an seinem Arbeitsplatz versteht, wo er robotermechanisch unter Hochdruck einer monotonen Tätigkeit nachgeht. Sein Bühnen-Update hat zumindest schon ein Marxismus-Seminar absolviert, sagt es doch: „Ich habe nichts außer meiner Arbeitskraft“ – zeigt aber auch mit jeder Geste, diese Ware gnadenlos bei sich auszubeuten. Er ist Akkordfetischist, Normübererfüller und setzt so Leistungsstandards für die Kol­le­g:in­nen hoch.

Die verachten ihn deswegen als „Arschkriecher“. Er selbst verweigert jedwedes Klassenbewusstsein und hält dank der Mehrleistungszuschläge die Illusion eines sozialen Aufstiegs aufrecht, folgt also der kapitalistischen Logik, sich durch steigenden Konsum zu definieren. Ihn aber genießen, dazu ist er nach der Schicht viel zu ausgelaugt. Gespräche daheim oder gar Sex mit der Partnerin: Da läuft nix mehr außer dem Fernseher zum Vor-sich-Hindösen.

Parallel zu diesem alten Industrieproletariat zeigt Szeredy zwei aktuelle Vertreterinnen der Arbeiterklasse. Eine Studentin stellt sich vor, die ihr prekäres Leben vom Mindestlohn eines Lieferdienstes finanziert – „ich arbeite zu viel, um Leute, die zu viel arbeiten, zu versorgen“ – und sonst nur noch zum Seriengucken kommt. Neben ihr ertrinkt eine Angestellte in der Ödnis ihrer Büroarbeit – „ich könnte das alles schneller, aber wozu?“ – und träumt sich abends per Internet in andere Welten.

Aufrichtig vereinzelt frustriert

Die Dreierkonstellation sieht auf der Bühne so aus: Der eine stanzt machovirilissimo ganz viele Löcher in Bretter, die eine tritt mit traurigem Gleichmut in die Pedalen eines aufgebockten Rades und die andere hockt in fröhlicher Verzweiflung am Schreibtisch – auf einen Laptop einhackend. Videoprojektionen zeigen Arbeitswelten aus dem schlotedampfenden Schwarz-Weiß-Vorgestern und kunterbunten Heute. Textverweise auf die Filmvorlage werden ergänzt durch Zitate aus der neuen Klassismus-Literatur sowie O-Töne von Betroffenen. So bemüht kunstlos dokutheatert das Dar­stel­le­r:in­nen­trio auch. Vielleicht als Verweis auf den Neorealismus, dem der Film als Sozialdrama huldigt.

Richtig Leben kommt in die Uraufführung erst, als die beiden Frauen mal mehr wollen, als nur lebend tot zu funktionieren – und sich per Online-Dating kennenlernen, was mit liebevoller Komik ausagiert wird. Einsicht ins verpfuschte Leben kann aber erst gezündet werden, als die Stückdramaturgie allen Figuren einen Bruch als Wachmacherereignis in die tägliche Mühsal gebastelt hat – der mit seinem Arbeitsgerät verschmelzen wollende Typ verliert dabei einen Finger, die Fahrradkurierin erleidet einen Unfall und die Bürohockerin einen Wutanfall.

Schon verzahnt sich auch das Spiel des Trios. Alle solidarisieren sich, unterstützen einander und stehen auf gegen die Kapitalisten, ach nein, die gibt es ja nicht mehr – als „personifiziertes Kapital“, wie Marx formulierte, gelten heute ja die Manager der im globalisierten Kapitalismus vernetzten Firmen und werden entsprechend beschimpft. „Streik“ lautet bald der unsicher skandierte Schlachtruf. Nebel wallt wie die Hoffnung, dass dahinter das Paradies lauert. „… aller … Länder … euch“ wird an eine Wand geschrieben, man hört die Internationale zwitschern. Der kommunistisch rote Faden des Stoffes hat seine Schuldigkeit getan.

Der plötzlich Arbeitslose hat einen großen Stapel taz-Ausgaben neben sich platziert und liest in jeder Gesprächspause genussvoll aus den Artikeln vor

Das ist natürlich eine sympathische Entwicklung, wirkt rührend aufrichtig, aber keineswegs radikal, um politische Militanz zu schüren. Als Appell-Theater kommt die Aufführung eher lehrstückhaft plakativ daher – sowie etwas bescheiden gedacht. Es erheben sich ja Individuen für klitzekleine Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen – es geht also um den Frust der Einzelnen, nicht um gesellschaftsverändernden Klassenkampf. Was umso notwendiger wäre, erreichen doch die Armutsquote wie die Zahl der Millionäre derzeit Höchststände.

Im Film ging es gerade um die Ausweitung der Kampfzone im Streit zwischen anarchistischen Studierenden, diplomatisch taktierenden Gewerkschaften und „linker“ Politik, alle wollten die Arbeiterklasse für ihre Sicht der Dinge instrumentalisieren. Weil die Regie aber nur die Gewerkschaften zum Andocken ins Spiel bringt, die in Deutschland keine 20 Prozent der abhängig Beschäftigten mehr vertreten, wirkt der Abend vielleicht so verloren mit seiner freundlichen Wut.

Und nun? Als der Superproll zum Aufrührer wird, schmeißt ihn seine Firma raus und er liegt wieder am Boden, befreit von der Arbeit, und sagt: „Das Schönste an der Freizeit ist, in Ruhe Zeitung zu lesen.“ Er hat dafür einen großen Stapel taz-Ausgaben neben sich platziert und liest nun in jeder Gesprächspause genussvoll aus den Artikeln vor. Auch eine Form des Widerstandes – im Geiste.

„Der Weg der Arbeitenden Klasse ins Paradies“: wieder am 3. 2., 20 Uhr, Braunschweig, Staatstheater/Aquarium; weitere Termine: 17. 2., 2. 3., 3. 3., 29. 3.

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