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Zu Mittätern gemacht

In der Parochialkirche inszeniert Elżbieta Bednarska das Buch „Zinkjungen“ von Swetlana Alexijewitsch über Veteranen aus Afghanistan

Von Katja Kollmann

Der Tod sieht traurig rüber zur massiven Eingangstür der Parochialkirche. „Sein“ Künstler gab ihm im 18. Jahrhundert einen Schädel, ein paar Rippen und ein Tuch, in das er sich hüllen kann. Am 29. Mai 1944 brannte der Kircheninnenraum bei einem Luftangriff völlig aus, der Tod im Vorraum aber überlebte. In diesem bis heute leeren Kirchenschiff, das nur von den blanken, alten Mauern umgeben ist, zeigte die polnisch-deutsche Regisseurin Elżbieta Bednarska „Zinkjungen. Von schwarzen Tulpen und Zinksärgen“.

Swetlana Alexijewitsch veröffentlichte den dokumentarischen Roman „Zinkjungen“, der sich mit dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und seinen Folgen beschäftigt, 1991 in Moskau, in dem Jahr, in dem die UdSSR auseinanderbrach. Zehn Jahre, von 1979 bis 1989, dauerte dieser Krieg, der mit dem Abzug der sowjetischen Soldaten aus Afghanistan beendet wurde. Unmittelbar danach traf Alexijewitsch ihre InterviewpartnerInnen. In der klug durchkomponierten Collage aus diesen Berichten kommen ehemalige Truppenangehörige, aber auch die Mütter derer, die gefallen sind, zu Wort.

Bednarska greift sich einige Erinnerungen heraus. Florentine Schara setzt sich auf eine der kreuz und quer stehenden Kirchenbänke. Feiner Sand ist auf ihrer Bank ausgestreut. Durch den Mund der Schauspielerin hindurch erzählt uns die Mutter eines damals umgekommenen Soldaten von ihrem Sohn – und von sich selbst. „Ich saß am Sarg und fragte: Wer ist da drin? … Bist du da drin, mein Sohn? … Er wurde ja in einem verschlossenen Sarg gebracht. Ich habe ihm nicht mal einen letzten Kuss geben können.“ Johannes Stubenvoll legt sich über die Lehne einer Kirchenbank, rollt sich im Zeitlupentempo ab, taucht dahinter ab, als würde er in Deckung gehen, bis er gebückt die nächste Kirchenbank erreicht.

Die Langsamkeit der Bewegungsabläufe führt dazu, dass vorm inneren Auge parallel dazu die entgegengesetzten Bilder entstehen können. Dann steht der Schauspieler im ehemaligen Altarraum und gibt einem Panzerschützen seine Stimme: „In der Hochschule meinte ein alter Lehrer: ‚Ihr seid Opfer eines politischen Fehlers geworden. Man hat euch zu Mittätern eines Verbrechens gemacht …‘. Als man uns in den „schwarzen Tulpen“ (damals die Bezeichnung für die Flugzeuge, die die sterblichen Überreste der Soldaten in Zinksärgen zurückbrachten) nach Hause brachte, haben sie geschwiegen … Auch als wir in Afghanistan getötet haben, haben sie geschwiegen … Und jetzt heißt es: Opfer … Fehler.“

Am Rand des Altarraums stehen zwei Overheadprojektoren. Aljoša Dakić hat Sand auf die Glasfläche gestreut. Seine Handbewegungen auf der DIN-A4-kleinen beleuchteten Sandfläche erzeugen in der Kirchenkuppel poetische Bilder, die die ganze Decke ausfüllen. Als aber Dakić' Hand beginnt, sich von oben in den Raum zu bohren und bald die ganze Wand einnimmt, sodass es scheint, als würde sie sich gleich den ganzen Raum einverleiben, entsteht ein Bild für staatliche Willkür, das wie ein Faustschlag funktioniert.

Parallelen zwischen dem sowjetischen Einmarsch in Afghanistan und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine liegen nahe, sie zittern mit beim Besuch des Stücks, in neunzig eiskalten Minuten, ohne dass eine direkte Aktualisierung notwendig ist. In der unbeheizten Kirche an der Klosterstraße ist das letzte temporäre Deckenbild, das Aljoša Dakić in den Sand zeichnet, ein graziles Skelett, das aus der Kirche zu fliegen scheint. Wohin es fliegt? Das hängt von uns ab.

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