kritisch gesehen: „das märchen vom zaren saltan“ in der staatsoper hannover: Mit Wohlklang und ganz ohne Haltung durch den Krieg
Erwartungsfroh sitzt das Premierenpublikum in der Staatsoper Hannover, Nikolai Rimskij-Korsakows „Das Märchen vom Zaren Saltan“ soll gegeben werden – und es passiert fast nichts. Eine lange Viertelstunde starrt das Personal auf der Bühne sinnierend ins Leere, während ein russischer Text vorgelesen wird.
Da es keine Übersetzung gibt, versteht ein Großteil des Publikums nichts. In unseren Angriffskriegszeiten ploppen da leider wohl schon beim Klang der Sprache vielfach Assoziationen auf, dass es eben Russen sind, die gerade Bomben auf die Ukraine regnen lassen und dort massenmörderisch Putins revanchistische Politik durchsetzen wollen. Anstatt meditativ zur Einkehr zu verführen, kocht der Prolog wohl eher negative Emotionen hoch. Als er endlich von der Musik übertönt wird, gibt es Applaus.
Misslungen also der Ansatz, das kollektive Lauschen von Märchenerzählungen als eine Methode zu zeigen, die sozialen Zusammenhalt und gemeinsame Identität stärkt. Tatsächlich zu hören war nämlich die dem Libretto zugrundeliegende Sage in Form der Versballade von Alexander Puschkin. Opulent fragwürdig ist zudem, ob gerade jetzt eine russische Märchenoper gespielt werden muss, in der ein russischer Herrscher mit diktatorischer Macht als altmodisch sympathischer Zar nur durch eine Intrige animiert wird, mörderische Befehle zu erteilen, was er dann moralisch vorbildlich leidend bereut und schließlich alles auf ein Happy End hinausläuft.
Im Programmheft wird zudem herausgestellt, dass mit dem Werk eine Gesellschaft gefeiert werde, die „ihr Schicksal in die eigene Hand“ nimmt. Echt? So wie Zar Peter 1721 nach 21 Jahren „Nordischem Krieg“ die Vorherrschaft an der Ostsee eroberte und Russland so wieder als Führungsmacht in Europa etablierte? Damit identifiziert sich ja wohl der aktuelle Diktator Russlands.
Zu all dem keine Haltung auf der Bühne zu entwickeln, enttäuscht doch sehr. Regisseurin Eva-Maria Höckmayr zeigt hingegen in biederer Klarheit – also die Magie, Wunder, putzigen Tiere und Zauberei der Handlung ignorierend – nur die Geschichte eines allein mit der Mutter aufgewachsenen Jungen in seiner Sehnsucht und Suche nach dem Vater. Dessen verstockte, erblindete Generation löst er schließlich mit seiner Schwanenprinzessin ab, während symbolisch ein monumentaler alter Zopf auf der Bühne abgeschnitten wird.
Beeindruckend hingegen die sängerische Qualität des Abends und mit welchem Nachdruck Dirigent James Hendry die farbenprächtige Opulenz der raffinierten Instrumentierung mit klangsinnlicher Akkuratesse in großer Orchesterbesetzung nutzt, um die Innenleben der Figuren aufzureißen. Tolle Musik! Jens Fischer
Aufführungen: 20., 24. und 26. 1., jeweils 19.30 Uhr, Staatsoper Hannover
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