Warschauer Gericht stoppt den Oder-Ausbau

Aber die einstweilige Verfügung kann noch gekippt werden. Das endgültige Urteil soll 2023 fallen

„Es geht den Deutschen darum, die Entwicklung Polens einzuschränken“

Von Gabriele Lesser, Warschau

Wer die Bilder von den Fischkadavern gesehen hat, die im Sommer zu Hunderttausenden in der Oder trieben, wird das wohl so schnell nicht vergessen. Doch die Suche nach den Ursachen der Umweltkatastrophe brachte auf der deutschen und auf der polnischen Seite des Grenzflusses unterschiedliche Ergebnisse zutage. Politiker der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gehen bis heute von einer bei großer Hitze und Niedrigwasser plötzlich auftretenden Blüte der giftigen Goldalge als „natürlicher Ursache“ des Fischsterbens aus.

Dagegen vermuten die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wie auch viele hiesige ExpertInnen eine Vielzahl von Ursachen. Darunter der seit Monaten von polnischer Seite intensiv betriebene Oderausbau. Allerdings ist die Freude deutscher Umweltverbände über den Stopp der Bauarbeiten an der Oder, den ein Warschauer Verwaltungsgericht vor einigen Tagen verfügte, verfrüht. Denn: Das abschließende Urteil steht noch aus. Zudem kann die polnische Umweltbehörde noch Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung einlegen. Dies hatte sie auch im Fall des Braunkohlebergbaus Turów im Dreiländereck Polen-Tschechien-Deutschland getan.

Nach Auffassung der Behörde hebt ein solcher Widerspruch die rechtliche Bindung der einstweiligen Verfügung auf, sodass im konkreten Fall die Bauarbeiten an den Stein- und Beton-Buhnen in der Oder fortgesetzt werden könnten. Die Buhnen, die vom Ufer aus einige Meter wie Dämme in den Fluss gebaut werden, sorgen einerseits für eine Verlangsamung der Fließgeschwindigkeit am Ufer, andererseits aber für eine Beschleunigung des Wassers in der Flussmitte, die dann wiederum das Flussbett durch die eigene Wasserkraft vertieft.

Genau das ist das Ziel der Regierung in Polen: die vertiefte Oder soll schon in naher Zukunft für Frachter schiffbar werden. Der Abriss der alten Buhnen setzt aber Sedimentgestein frei, das für Fische und andere Fluss-Lebewesen wie Schnecken oder Krebse ähnlich gefährlich werden kann wie die giftige Goldalge oder die Einleitung salzhaltiger Industrieabwässer.

Aus diesem Grund hatten die Umweltorganisationen Deutscher Naturschutzring (DNR), der Naturschutzbund (Nabu) und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gegen den Oder-Ausbau auf polnischer Seite in Warschau geklagt. „Gerade nach der Umweltkatastrophe an der Oder sind die grenzüberschreitenden Auswirkungen von Baumaßnahmen auf geschützte Arten und Lebensräume stärker zu berücksichtigen“, kommentierte DNR-Geschäftsführer Florian Schöne die einstweilige Verfügung des Warschauer Verwaltungsgerichts zum Baustopp am polnischen Oder-Ufer. Zu den Klägern gehört auch das Umweltministerium von Brandenburg. Dem Land zufolge wurden bei der Genehmigung der Buhnen-Bauarbeiten Auswirkungen auf die Umwelt und insbesondere auf die angrenzenden Flussauen nicht ausreichend berücksichtigt. Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei unvollständig.

Dieser Argumentation der Kläger schloss sich das Warschauer Verwaltungsgericht zwar an, doch die einstweilige Verfügung ist noch nicht rechtskräftig. Polens Vize-Infrastrukturminister Marek Gróbarczyk (PiS) kündigte bereits öffentlich an, Widerspruch gegen den Geschichtsbeschluss einzulegen. „In Wirklichkeit geht es den Deutschen darum, die Konkurrenzfähigkeit und Entwicklung der polnischen Infrastruktur einzuschränken“, sagte Gróbarczyk dem katholischen TV Trwam. „Dies werden wir nicht zulassen!“

Nach Auskunft des Gerichtssprechers hat das Ministerium bislang keinen Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung des Verwaltungsgerichts eingelegt, über die dann das Oberste Verwaltungsgericht in Warschau entscheiden müsste. Ein endgültiges Gerichtsurteil zum Oderausbau werde es erst nach dem Hauptverfahren geben, dessen Termin im kommenden Jahr aber noch nicht feststeht.