ÜBER DIE JUGEND SCHIMPFEN IST PASSÉ. WIESO DENN BLOSS?
: Das Recht auf schlechte Laune

VON ULRICH GUTMAIR

Dass ich vor zwei Wochen an dieser Stelle die Tugenden der Ravekultur gegen die gespenstische Wiederkehr der rezeptionsästhetischen Leitbilder des 19. Jahrhunderts in Anschlag gebracht hatte, hat mir prompt den Vorwurf eingehandelt, nostalgisch zu sein. „Früher war auch nicht alles besser!“, schallte es mir entgegen. Stimmt schon, früher war nicht alles besser. Aber schöner war’s!

Ich betrachte es als mein gutes Recht, ein Unbehagen an Jugendlichen und Adoleszenten bei Belieben und jederzeit zu äußern. Ich bin alt genug dafür und außerdem bereits Vater. Auch und gerade weil solches Betragen – insbesondere unter den jungen, mittelalten und trotz fortgeschrittenen Alters auf die eigene Hipness pochenden Medienmenschen Berlins – nicht mehr dem Comment entspricht. Es muss trotzdem erlaubt sein, die Frage zu stellen, wieso eigentlich nicht?

Die Tatsache, dass das schöne deutsche Wort „Berufsjugendlicher“ fast vollständig aus dem alltäglichen Gebrauch verschwunden ist, sollte uns zu denken geben. Zeigt sie doch, dass das Gebot der Zurschaustellung von Frische und Jugendlichkeit, stetiger Bereitschaft zu Flexibilität und fröhlicher Affirmation des Gegebenen das Nonplusultra ist, dem sich zu unterwerfen gesamtgesellschaftlich und generationsübergreifend für obligatorisch erachtet wird.

Das zeitigt hin und wieder auch lustige Effekte, etwa wenn man selbst zum Objekt nostalgischer Projektion wird. Vor einiger Zeit, es war Sommer und wir tranken Bier auf der Straße, beklagte sich ein ungefähr zehn Jahre jüngerer Kollege darüber, dass wir, also ich und meine Altersgenossen, privilegiert seien. Wir, behauptete er, hätten es noch einfach gehabt, dagegen zu sein. Seiner Generation sei das nicht mehr möglich. Ich fand es zwar lustig, wie ein weißhaariger 68er-Hippie (oder zumindest angegrauter Punk) angesprochen zu werden. Aber es schien mir auch bedenklich, wie der Zwang, alles gut finden zu müssen, nicht aus den ökonomischen Verhältnissen eines prekär lebenden jungen Intellektuellen abgeleitet, sondern kulturalistisch zu einer Generationsfrage verklärt wurde.

Auch wenn der Generationismus meist Quatsch ist, liegt doch ein Funken Wahrheit in der Beobachtung des Kollegen: Die heute Vierzigjährigen sind die letzten Angehörigen der Nachkriegsgesellschaft. Deren letzter großer Dichter, Peter Hein, textete einst folgende Zeilen: „Wo sind die Krüppel hin, die uns als Kinder halfen zu verstehn, was es heißt den Krieg zu verliern. Die kann man nur noch auf dem Friedhof sehn.“ Die gesammelten Lyrics Heins sind in diesem Jahr beim kleinen Düsseldorfer Verlag Lilienfeld erschienen und seien insbesondere den nachfolgenden Generationen hiermit wärmstens empfohlen.

Es liegt jedenfalls kein besonderes Privileg darin, einer Alterskohorte anzugehören, die bei Gelegenheit von verkommenen alten Verbrechern in Uniform zu hören bekam: „So was wie dich hätte man früher zu Seife gemacht.“ Das sagte mir eines Nachts im Jahre 1990 ein Busfahrer, als ich in der Skalitzer Straße einen Bus mit einem Fahrschein besteigen wollte, der abgelaufen war.

Das Heranwachsen in einer Welt, in der es solche Busfahrer gibt, ist zwar Grund genug, jedweder Nostalgie mit Skepsis gegenüberzutreten. Vielleicht aber schärft es auch das Bewusstsein dafür, dass der Antrieb, die sozialen Zusammenhänge nach Maßgabe eigener Werte formen zu wollen, immer einer Dringlichkeit geschuldet ist. Wahre Bildung, also jenes Tun, das es laut deutscher Denker erst erlaubt, sich als autonomes Individuum zu proklamieren, besteht zuerst darin, zu erkennen, was einen selbst betrifft. Wer also schlechte Laune, für die es gute Gründe gibt, zu artikulieren sich verbietet, der ist selber schuld.