Platz da für die Autos!

Im Streit um die Friedrichstraße gibt Verkehrssenatorin Jarasch (Grüne) nach: Die Sperrung für Autos wird aufgehoben – vorerst. Bald soll dort aber wieder eine Fußgängerzone entstehen

Es war so schön ruhig: Bald rauschen hier wieder Autos Foto: Bernd Friedel/imago

Von Bert Schulz

Die Friedrichstraße in Mitte wird wieder Autostraße. Wie Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) am Montagmorgen mitteilte, will ihre Verwaltung keine Beschwerde gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts einlegen. Ab 22. November werde der Abschnitt zwischen Französischer und Leipziger Straße wieder für den motorisierten Verkehr freigegeben. Allerdings nur „zwischenzeitlich“: Bis Jahresende bereits soll die Umwidmung in eine dauerhafte Fußgängerzone erfolgen.

Was auf den ersten Blick nach einer lokalpolitischen Posse aussieht, hat in Wirklichkeit berlinweite politische Relevanz. Vor knapp zwei Wochen hatte das Verwaltungsgericht einen Eilbeschluss veröffentlicht, wonach die Sperrung der schmalen, überwiegend hochpreisigen Einkaufsstraße für Autos nicht mehr erlaubt sei. Begründung: Der dortige sogenannte Verkehrsversuch war bereits vor einem Jahr offiziell zu Ende gegangen. Geklagt hatte eine Anliegerin einer Nebenstraße.

Jaraschs Vorgängerin als Verkehrssenatorin, Regine Günther, hatte im August 2020 den 500 Meter langen Abschnitt für den Autoverkehr gesperrt und versucht, daraus eine Flaniermeile zu machen – ein prestigeträchtiger, lange vorbereiteter Modellversuch, wie nach Ansicht der Berliner Grünen zentrale Orte der Innenstädte langfristig umgebaut werden sollten. Die Cafés an der Friedrichstraße stellten Stühle vor die Tür auf die jetzt autofreie Straße, einige Schauvitrinen und Sitzbänke fanden dort ebenfalls Platz. In der Mitte der Straße hatten Rad­fah­re­r*in­nen weitgehend freie Fahrt.

Nach knapp zwei Jahren ist inzwischen aber selbst den Grünen klar: Das Sperren allein einer Straße führt zu Folgeproblemen in benachbarten Straßen. Und nur ein paar Stadtmöbel allein machen aus einer Durchgangsstraße noch keine attraktive Fußgängerzone. Doch das Gesamtkonzept für die Gegend rund um den Gendarmenmarkt blieben Günther und später Jarasch bisher schuldig.

Trotzdem führte die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu einem harschen Streit zwischen der Verkehrssenatorin und der Regierenden Bürgermeisterin. Letztere forderte publikumswirksam eine rasche Rückkehr der Autos; Jarasch attestierte Franziska Giffey (SPD) öffentlich, die Entscheidung des Gerichts wohl nicht verstanden zu haben. Allgemein wurde beiden bescheinigt, bereits mit vollem Schwung in den Wahlkampf eingestiegen zu sein – voraussichtlich am 12. Februar 2023 muss in Berlin die Wahl von 2021 wiederholt werden.

Jarasch stand daraufhin vor der Frage, ob sie gegen die Entscheidung juristisch vorgehen sollte: Sie hätte nur bis Dienstag dafür Zeit gehabt; ein erneutes Scheitern wäre klar im Bereich des Möglichen gewesen. In der vergangenen Woche liefen Gespräche zu dem Thema im Senat; die SPD drängte darauf, eine Schlappe vor Gericht zu vermeiden. Die Senatorin entschied sich am Montag für das wohl kleinere Übel: kurzzeitige Rückkehr der Autos, danach schneller Umbau in eine echte Fußgängerzone.

„Wir arbeiten weiterhin, unabhängig von dem Eilbeschluss, an der autofreien Flaniermeile“, erklärte Jarasch laut der Mitteilung. Diese soll eingebunden sein in eine Verkehrslösung auch für die Umgebung. „Sobald dies umgesetzt ist, können wir uns an die dauerhafte Ausgestaltung der Fußgängerzone als Teil eines Gesamtkonzepts für die historische Mitte machen.“

„Wir arbeiten weiterhin an der autofreien Flaniermeile“

Bettina Jarasch, Verkehrssenatorin

Als ersten Schritt für den Umbau kündigte Jarasch an, aus der parallel verlaufenden Charlottenstraße eine Fahrradstraße zu machen. Dort haben dann Rad­fah­re­r*in­nen Vorrang vor Autos. „Radfahrenden bieten wir damit eine attraktive Nord-Süd-Route an, um den Wegfall des Radstreifens in der Friedrichstraße zu kompensieren“, erklärte Mittes Stadträtin für Verkehr, Almut Neumann (Grüne).

Parallel arbeite der zuständige Bezirk Mitte an der dauerhaften Umwidmung des Teils der Friedrichstraße. Auch Einbahnstraßenregelungen seien künftig möglich, so Jarasch. Vorerst werden aber bis zum 22. November alle Sitzgelegenheiten, Bepflanzungen und Stadtmöbel, sofern diese den Autoverkehr behindern, entfernt, genauso wie der Fahrradstreifen in der Straßenmitte.

Die Opposition will sich mit der nur vorübergehenden Öffnung für Autos nicht zufrieden geben. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja kritisierte, Jarasch führe einen „Kulturkampf gegen das Auto“. Sie wolle mit der Entwidmung der Straße neue Tatsachen schaffen, ohne ein Konzept zu haben. CDU-Fraktionschef Kai Wegner warnte Jarasch wegen der Fahrradpläne für die Charlottenstraße vor einem „Hintertür-Trick“. „Es ist höchste Zeit, ein schlüssiges Konzept für die historische Mitte zu erarbeiten.“

Das Aktionsbündnis „Rettet die Friedrichstraße!“ verwies darauf, dass seit dem Start des Verkehrsversuchs 20 Geschäftsleute aufgegeben hätten. Bedenken der Anrainer bezüglich einer autofreien Straße müssten ernst genommen werden