Ohne Strom, Wasser und Wärme

Während Ukrai­ne­r*in­nen sich auf Engpässe einstellen, mobilisiert der Kreml nun verstärkt Strafgefangene

„30 Prozent der Kraftwerke sind zerstört“

Präsident Wolodimir Selenski auf Twitter

Von Barbara Oertel

Die russische Armee hat auch am Dienstag ihre Angriffe auf die ukrainische Hauptstadt Kyjiv sowie weitere Städte des Landes fortgesetzt. Beim Beschuss von zwei Energierversorgungsanlagen am linken Ufer des Dnjepr habe es drei Tote und mehrere Verletzte gegeben, teilten die örtlichen Behörden mit. Bereits am Montag hatte es in Kyjiv Tote gegeben, als ein Wohnhaus im zentralen Stadtteil Schewschenko getroffen worden war. Deren Anzahl erhöhte sich, nach Angaben des Kyjiver Bürgermeisters Vitali Klitscho, auf fünf.

Die Ukrai­ne­r*in­nen müssen sich darauf einstellen, dass die Versorgung mit Wasser, Strom und Wärme eingestellt wird. Das kündigte der Chef der Präsidialverwaltung, Kirill Timoschenko, im Fernsehen an. „Die Situation im gesamten Land ist kritisch. Es ist notwendig, sich im ganzen Land darauf vorzubereiten, dass es zu Ausfällen sowohl bei der Strom- und Wasserversorgung als auch bei der Wärmeversorgung kommen kann“, zitiert das Medium Strana Timoschenko.

Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski die Zerstörungen der kritischen Infrastruktur seit der Intensivierung der russischen Angriffe zu Anfang vergangener Woche auf 30 Prozent beziffert. „30 Prozent der Kraftwerke sind zerstört, was zu massiven Stromausfällen im ganzen Land geführt hat. Für Verhandlungen mit Putins Regime gibt es keinen Platz mehr“, schrieb er auf Twitter.

Unterdessen scheint Russlands Präsident Wladimir Putin keine Anstalten zu machen, einen Erlass zu unterschreiben, um die Teilmobilmachung zu beenden. Diese war am 21. September verkündet worden. Seitdem haben tausende russische Männer ihr Land verlassen – vor allem in Richtung Georgien und Kasachstan. Von einem Ende der Teilmobilmachung könne noch keine Rede sein, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag vor Journalist*innen. Es sei Aufgabe der einzelnen Regionen, festzustellen, ob die erforderliche Anzahl erreicht sei. Pläne, die von Putin ausgegebene Vorgabe von insgesamt 300.000 Soldaten zu überschreiten, gebe es nicht. Der Moskauer Bürgermeister Sergej Sobjanin hatte am Montag die Teilmobilmachung in der russischen Hauptstadt für beendet erklärt.

Am vergangenen Samstag war es bei einer Militäreinheit in der russischen Region Belgorod an der Grenze zur Ukraine zu einer Schießerei mit 22 Toten und 16 Verletzten gekommen. Medienberichten zufolge sollen zwei Tadschiken, die per Vertrag beim russischen Militär angeheuert hatten, das Feuer auf ihre Kameraden eröffnet haben.

Derweil werden in Russland verstärkt Strafgefangene mobilisiert. Das berichtet der russische Dienst der BBC. Dabei handelt es sich um Personen, die wegen schwerer Verbrechen zu mindestens fünf Jahren Haft verurteilt sind. Derzeit ist diese, offensichtlich inzwischen gängige, Praxis verboten. An diesem Dienstag wollte die Duma über eine Aufhebung des Verbots entscheiden.

Das estnische Parlament hat am Dienstag für eine Resolution gestimmt, die die Annexion ukrainischer Gebiete verurteilt und das russische Regime als terroristisch einstuft. Dafür votierten 88 Abgeordnete, Nein-Stimmen und Enthaltungen gab es nicht. Bereits im August hatte das Parlament Lettlands eine ähnliche Erklärung verabschiedet. Darin wird die russische Gewalt gegen die ukrainische Zivilbevölkerung als Terrorismus und Russland als „staatlicher Sponsor des Terrorismus“ bezeichnet.