: Die Trickkiste meines Vaters
ERINNERUNGEN Der Sohn des Hamburger Filmemachers Helmut Herbst erzählt von seiner Kindheit im cinegrafik-Filmstudio, das in einer Ausstellung und Filmen im Metropolis vorgestellt wird
VON MORITZ HERBST
Heute beginnt die Ausstellung im Foyer des Metropolis Kinos über das Hamburger cinegrafik-Filmstudio, das 1962 von Helmut Herbst gegründet wurde. Begleitet von sechs Programmen, in denen bei cinegrafik entstandene Produktionen aus fünf Jahrzehnten zu sehen sind.
Es wurde viel improvisiert im cinegrafik-Studio. Beeindruckt hat mich der selbst gebaute, mir riesig erscheinende Tricktisch. Auf Stangen von Baugerüsten waren an den Seiten Strahler montiert, ganz oben in der Mitte eine Kamera für die Trickaufnahmen. In der Mitte des Tisches eine weiße, glatte Fläche. Hier wurden die Phasenzeichnungen aufgelegt, jede einzeln gezeichnet, mit geringfügig versetzten Figuren. 24 Bilder pro Sekunde laufen bei der Vorführung durch den Filmprojektor. Auch die optische Bank war selbst konstruiert. Alles mit geringen Mitteln, selbst finanziert. Am konventionellsten sahen noch die Zeichentische aus, auf denen es eine Unmenge an feinen Stiften gab. Und eine Halterung, um die Folien einzuspannen und exakt übereinander legen zu können, auf denen die einzelnen Phasen gezeichnet wurden, die dann in dem fertigen Zeichentrickfilm einen Bruchteil einer Bewegung darstellten. In den heutigen Zeiten von Computeranimation schwer vorstellbar, wie viel Mühe und zeichnerische Sorgfalt „damals“ in einem Zeichentrickfilm steckte. Wer genau hinsieht, kann bei Trickfilmen sehen, ob sie in der Zeit der manchmal etwas kantigen Phasenzeichnungen oder in einer allzeit glatten Computeranimation entstanden sind.
In „Synthetischer Film oder wie das Monster King Kong von Phantasie und Präzision gezeugt wurde“ (Di, 19 Uhr) öffnete mein Vater die Trickkiste und erklärte, wie die sechs Grundprinzipien der Filmmanipulation technisch erzeugt werden. Stopptrick, Einzelbildaufnahme, Blende, Mehrfachbelichtung, Mehrfachbelichtung durch Masken, Zeitlupe, Zeitraffer und Zeitumkehrung werden mit einer Bolex-Kamera vorgeführt. Um zu zeigen, dass Filmtricks keine Zauberei sind, sondern technisch relativ einfach, hat mein Vater mich gefragt, ob er mich nicht dabei filmen könne, wie ich die Tricks an der Bolex vorführe. So haben wir es 1975 im cinegrafik-Studio in der Bachstraße gemacht. In dem Film gibt es anschließend jeweils Beispiele aus der Filmgeschichte zu den einzelnen Tricks – und so ist es kein Geheimnis mehr, wie King Kong auf den Wolkenkratzer gekommen ist. Von dem ersten cinegrafik-Studio in der Hasenhöhe erinnere ich mich vor allem an die tolle Außenwendeltreppe. Und an das einfach verglaste Dachlukenfenster, wie es sich heute nur noch auf alten Dachböden findet. Dass ich es so genau erinnere, liegt aber eher an dem Film „Eine regnerische Nacht in Potsdam“ (läuft am 3. Juni, 21 Uhr). 20 Minuten lang ist dort dieses Fenster zu sehen, wie Regen draufpladdert. Als achtjähriges Kind, Sohn von Helmut Herbst, sah ich diesen Film – und fand ihn beruhigend, entspannend.
Mein Vater und Susanne Herbst, meine Mutter, hatten immer viel Besuch. Filmkritiken, Produktionsplanungen, alle dies fand auch am Küchentisch statt. Der Experimentalfilmer Klaus Wyborny hatte damals eine Wohnung ohne Badewanne – einmal die Woche kam er zu uns zum Baden. Ursula und Franz Winzentsen hatten nicht nur für ihre Trickfilme skurrile und fantastische Einfälle, auch mit Kindern konnten sie sich fantasievoll unterhalten. Die Stimme von Franz Winzentsen, der acht Jahre lang cinegrafik zusammen mit meinem Vater leitete, ist für mich assoziativ verbunden mit „Mumien, Monstren, Mutationen“. Unter diesem Motto stellt er im cinegrafik-Studio entstandene Kurzfilme, Spots und Trailer vor (Sa, 17 Uhr). Vielleicht dabei: der Vorspann des NDR-Filmclubs, oder den witzigen Spot „Schwarz hören und Sehen kommt Sie teuer zu stehen“ zur Funk- und Fernsehgebühr. Unmittelbar erlebbar wurde durch die Freundschaften der FilmemacherInnen untereinander, wie wichtig ein reges soziales Umfeld ist für das Entstehen von kreativen, kulturellen Arbeiten.
Im cinegrafik-Studio entstanden in den siebziger Jahren einige Dok-Filme, die genau dies thematisieren: Etwa „Deutschland DADA“ (So, 21 Uhr), der die dadaistische Bewegung auch in der Form angemessen durch ein rückwärts laufendes Alphabet vorstellt. In diesem Film beschäftigt sich mein Vater mit der für ihn zentralen Frage, wie ein kultureller auch ein politisch emanzipatorischer Aufbruch sein kann, und umgekehrt: Dass die Form, in der sich linke politische Ideen kulturell ausdrücken, eben nicht egal ist, sondern beides ein Ausbruch aus alten Formen sei.
Eine Filmförderung gab es damals nicht, und so wurden eigene Filmideen durch Auftragsarbeiten für Industriefilme, für Werbung finanziert. Der Grundkonflikt zwischen dem Diktat des Marktes, dem Sichverkaufenmüssen für den Lebensunterhalt, und dem, was man selbst gerne machen möchte – dass ist etwas, was schon ein Kind versteht. Auch, dass im Kühlschrank manchmal nur ein Topf Margarine und eine Milchtüte steht, weil den Eltern die Schulden mal wieder über den Kopf zu wachsen drohen. Aber auch mit Schulden geht das Leben weiter, und es ist gut, dass bei cinegrafik so viele nicht marktkonforme, widerspenstige Filme entstanden sind.
■ Fr, 1. – Sa, 30. 6.: Metropolis, Kleine Theaterstraße 10, Ausstellung im Foyer: 50 Jahre cinegrafik-Studio; Sa, 2. – Di, 5. 6, Filmreihe „Früher – als wir noch nicht postmodern waren. Medialer Aufbruch – das cinegrafik-Studio“ u.a. Filme von Werner Nekes, Helmuth Costard, Robert Daroll, Kathrin Magnitz, Ursula und Franz Winzentsen, Bernd Upnmoor, Marquard Bohm und Helmut Herbst läuft Fr, Sa um 22.30 Uhr