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Grummeln aus der niedersächsischen Tiefe

In Niedersachsen bebt regelmäßig die Erde. Das liegt wahrscheinlich an der Erdgasförderung – und die soll nun sogar vor Borkum im Wattenmeer stattfinden

Von André Zuschlag

Anfang September war es mal wieder so weit: In Niedersachsen bebte die Erde. Gegen 12 Uhr mittags schlugen die Seismografen an. Mit einer Magnitude von 2,2 gab das Niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (NLBEG) das Ausmaß des Bebens in der Gemeinde Emstek im Kreis Cloppenburg an:

Ein leichtes Erdbeben also, kaum wahrnehmbar, aber eventuell haben Menschen in der Umgebung leichte Erschütterungen gespürt, so das NLBEG in einer Mitteilung an jenem Nachmittag. Und tatsächlich: „Neun An­woh­ne­r:in­nen hatten sich danach beim Landesamt gemeldet“, erklärt ein Sprecher. Schäden hätte es dieses Mal aber nicht gegeben.

So glimpflich war es in den vergangenen Jahren nicht immer: Vergangenes Jahr etwa meldeten Betroffene im Kreis Vechta nach einem Erdbeben Risse an ihren Hauswänden. Dabei dürfte es geografisch betrachtet in Niedersachsen kaum zu solchen Erschütterungen kommen, wäre da nicht die Erdgasförderung. 44 solcher Erschütterungen vermeldete das NLBEG in den vergangenen acht Jahren – meist dort, wo im Boden nach Erdgas gebohrt wird. Fünf Kilometer südlich von Emstek etwa liegt das Gasförderfeld Goldenstedt/Visbek, das von Exxon-Mobil betrieben wird.

95 Prozent der heimischen Erdgas-Vorkommen liegen im niedersächsischen Boden. 5,5 Milliarden Kubikmeter werden hier pro Jahr gefördert. Doch seit in den 1990ern die Förderung größere Ausmaße annahm und die Erdbebenhäufigkeit zunahm, wuchs auch der Protest: Fast überall im Land, wo tief unter der Erde nach Gas gebohrt wird, gibt es Bürgerinitiativen, die gegen die Förderung aufbegehren. Jedes Erdbeben ließ das Vertrauen sinken. Die Fracking-Debatte des vergangenen Jahrzehnts spielte da auch rein.

Doch der Wind hat sich seit dem Krieg in der Ukraine gedreht. „Niedersachsen ist der Eckpfeiler der deutschen Energieversorgung“, sagte der amtierende Wirtschaftsminister und CDU-Spitzenkandidat Bernd Alt­husmann im April und lieferte damit die Begründung, warum die heimische Erdgasförderung ausgebaut werden soll: Wo kalte Heizungen im anstehenden Winter drohen, müsse dieses rund 43 Milliarden Kubikmeter große Vorkommen doch angezapft werden.

Seither herrscht auch auf den ostfriesischen Inseln die Angst. Vor allem auf Borkum fürchtet man sich vor dem, was anderswo im Bundesland schon fast Alltag ist. Als Borkums parteiloser Bürgermeister Jürgen Akkermann vom vergangenen Erdbeben hört, reagiert er wenig erstaunt. „Das verwundert ja nicht: Wo Material aus dem Boden entnommen wird, entstehen zwangsläufig oben Schäden.“

95 Prozent der Erdgas-Vorkommen liegen im niedersächsischen Boden

Kurz nach Althusmanns Feststellung machte die Große Koalition – mit Zustimmung der FDP – etwas, dass es nach Recherchen des NDR satte 40 Jahre nicht mehr gegeben hatte: Sie löste einen Landtagsbeschluss wieder auf, den sie kaum acht Monate zuvor noch verabschiedet hatte. Ursprünglich wollte sie jeglicher Öl- und Gasförderung im Wattenmeer einen Riegel vorschieben: Es stehe mit dem Beschluss „ein für alle Mal fest“, sagte damals Umweltminister Olaf Lies (SPD), dass es im Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer keine Bohrungen nach Gas oder Öl mehr geben wird.

Erst gaben auf der niederländischen Seite die Behörden Anfang Juni grünes Licht für die Erdgasförderung, nun läuft auch auf deutscher Seite das Planfeststellungsverfahren. In Den Haag hat die Stadt Borkum bereits Klage eingereicht. Ob nach es nach einem Planfeststellungsbeschluss auch diesseits der Grenze zur Klage kommt, ist laut Akkermann noch ungewiss. „Aber unsere Bedenken sind hinreichend bekannt“, sagt er. Und vielleicht dreht sich der Wind ja nach der anstehenden Landtagswahl mit einer neuen Regierungskonstellation? Da klingt Akkermann skeptisch. Andererseits: Mit der spontanen Wende beim Landtagsbeschluss zuvor hatte er auch nicht gerechnet.

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