berliner szenen: Ihh, Digger, bin ich jetzt vegan?
Zwei Jugendliche, männlich gelesen, springen laut lachend durch die Mitteltür in den beinahe leeren Bus in Schöneberg. Jeder nimmt zwei Sitze, zwischen ihnen klafft der Gang. Große Schulrucksäcke nehmen neben ihnen Platz. Breitbeinig sitzen sie in Fahrtrichtung – die Baseballcap tief über die Augen gezogen, die übergroßen Hoodies mit Jacke und Weste darüber, Schuhe wie kleine Boote. Draußen regnet es.
Der eine sucht Augenkontakt über den Gang hinweg und tippt sich auf die Nase. „Hast du einen fahren lassen?“, fragt der andere, „Warum stinkt es hier so?“ Sie lachen. „Nee, Mann, du sollst deine Maske aufziehen!“, schreit dieser. „Achso, aber stinkt trotzdem“, ruft der Erste zurück und löst damit noch größere Heiterkeit aus. Er zieht eine Maske aus der Jackentasche und schiebt sie über den Mund.
Der Erste kramt zwei Capri-Sonnen aus seinem Rucksack und wirft eine davon über den Gang zum Wegbegleiter. Geschickt fieselt dieser den kleinen Strohhalm aus der eng anliegenden Plastikhülle. Plötzlich hält er inne und starrt entgeistert auf die Packung. „Ihh, Mann, bei mir steht vegan drauf!“, schreit er dann, „bin ich jetzt vegan oder was?!“ „Bei mir auch!“, brüllt auch der andere mit fassungslosem Ausdruck. „Scheeeeiße, Digger!“, erwidert der Entdecker des Labels.
Doch nun lenkt der Spender des zuckrigen Getränks pragmatisch ein: „Sei doch froh, dass ich dir überhaupt was gebe!“, sagt er laut und leert die kleine Tüte mit einem Zug, sodass sie sich zusammenzieht. Ihre Masken hängen nun am Kinn. Mit einem lauten Rülpser beendet auch der andere Teenager seine vegane Sinnkrise. Und beide erfreuen sich ihres geräuschvollen Aufstoßens von verbrauchter Luft aus dem Verdauungstrakt. „Schmeckt trotzdem“, ist die nüchterne Bilanz.Leila van Rinsum
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