Nordgrünes Paradies

Anderes als die Nochregierer in Berlin plädieren die Grünen in Schleswig-Holstein für eine höhere Mehrwertsteuer. Auf dem Landesparteitag rangeln sie auch um die Liste für die Bundestagswahl

Von Esther Geißlinger

„Das gilt im linken Spektrum als unsozial – aber wir wollen eine höhere Mehrwertsteuer“, sagt Robert Habeck, Landeschef der schleswig-holsteinischen Grünen, zur taz. Damit stellen sich die Nordgrünen gegen den Bundesverband, der an Spitzensteuersatz und Unternehmenssteuer drehen will. Das bringt nicht genug, meinen die Schleswig-Holsteiner: Nämlich nur rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr, die die Lohnnebenkosten nur um 0,2 Prozent senken könnten.

Eine um ein Prozent höhere Mehrwertsteuer dagegen ließe sich so umverteilen, dass die Nebenkosten bei unteren Einkommen um drei Prozent sänken. Wer wenig verdiene, solle so kaum Steuern zahlen, schlagen die grünen Landesvorsitzenden Habeck und Marlies Fritzen vor. Auch die höhere Mehrwertsteuer solle nicht alle Produkte betreffen: Grundnahrungsmittel sollten billiger, andere Waren dagegen deutlich teurer werden – Skandinavien macht es vor. Ihr Steuerkonzept wollen die Grünen heute beim Landesparteitag in Neumünster beraten. Stimmen die Delegierten zu, soll das Papier beim Bundesparteitag Mitte Juli auf den Tisch kommen. Habeck rechnete sich dort zwar keine großen Chancen aus: „Es wäre eine Überraschung, wenn wir durchkämen.“ Allerdings: „Aus der Lage als Underdog lässt sich gut argumentieren.“

Auch ein anderes Großprojekt will die Oppositionspartei heute beraten: Nämlich, ob ein „Bildungssoli“ eingeführt werden sollte, der ähnlich funktioniert wie der Solidarbeitrag für die neuen Bundesländer. Charmanter Vorteil: Eine Bundesregierung mit grüner Beteiligung könnte den „Soli“ einführen, ohne den Bundesrat zu fragen. Allerdings, gibt Habeck zu, sei der Landesverband in dieser Frage gespalten: „Denn die klassische Antwort lautet, dass Bildung ein öffentliches Gut ist, das der Staat allein finanzieren muss.“ Sicher sei ihm diese „idealtypische“ Antwort am liebsten, meint der Grüne. Aber da vieles nicht bezahlbar sei, hält der Vorstand den „Soli“ für nötig: „Wir haben keinen anderen Rohstoff, wir müssen in Bildung und Innovation investieren“, sagt Marlies Fritzen. Der Soli sei sozial gerecht, weil er an die Einkommenssteuer geknüpft sei. Nur wer verdient, muss zahlen. Viele seien derzeit dazu bereit. „Der Politikverdruss rührt nicht daher, dass die Leute nichts hören wollen – es ist Zeit für schlechte Nachrichten“, sagt Habeck.

Aber beim heutigen Parteitag geht es, was Wunder, nicht nur um Inhalte: Die Schleswig-Holsteiner müssen ihre Spitzenkandidaten für Berlin bestimmen. Echte Chancen auf einen Bundestagssessel haben nur die Listenplätze eins und zwei – und da stehen mehrere Namen auf den Wahlzetteln. Auf Platz 1 kandidieren die Bundestagsabgeordnete Grietje Bettin, Angelika Birk, zuletzt Landtagsabgeordnete, und Anita Boje, die in der Rostocker Stadtverwaltung arbeitet und dem grünen Parteirat in Schleswig-Holstein angehört.

Um Platz 2 kämpfen der Bundestagsabgeordnete Rainder Steenblock und Arfst Wagner, Lehrer und sozialpolitisch aktiv. Auf Platz 3 steht die Landtagsabgeordnete Monika Heinold, die nach Berlin fahren könnte, wenn die Grünen in Schleswig-Holstein zwölf Prozent erreichen.