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Wenn der Mythos einen eigenen Platz bekommt

Berlin-Kreuzberg, 151.700 Ein­wohner*innen. In Kreuzberg gibt es statt des Heinrichplatzes nun den Rio-Reiser-Platz. Vom Namenssockel gestoßen wurde dafür Prinz Heinrich von Preußen. Einen Ton-Steine-Scherben-Platz gibt es noch nicht.

Kurz nach 17 Uhr erhebt sich bereits erster Protest: Pfiffe, wann es endlich losgehe. In Kreuzberg will man es halt pünktlich. Hunderte Menschen stehen auf der Oranienstraße vor der dort aufgebauten Bühne, einer zitiert launig einen der wirkmächtigsten Songs deutscher Popgeschichte: „Der Mariannenplatz war grau …“ Tatsächlich. So viele Alte waren da.

Der Mariannenplatz ist von der Bühne nur zwei Steinwürfe entfernt. Dort wurde der Mythos der Kreuzberger Agitrocker Ton Steine Scherben geboren, mit dem „König von Deutschland“ vorneweg, Rio Reiser, der so inbrünstig sang: „Der Mariannenplatz war blau, so viel Bullen waren da …“ Der „Rauch-Haus-Song“. Die Hausbesetzerhymne. In den 70ern gesungen, wenn nach einem Scherben-Konzert wieder ein Haus besetzt wurde. Und jetzt steht man auf der Straße, weil nun der Heinrichplatz offiziell umbenannt wird in Rio-Reiser-Platz.

Wieder Pfiffe, als die Kulturstaatssekretärin Claudia Roth auf die Bühne kommt. Sie war auch mal Scherben-Managerin, ist jetzt aber eben näher an der Macht. Die Scherben spielen. Fröhlich schreit die Menge „Das ist unser Haus“. Revolu­tions­romantisch gereckte Fäuste sind zu sehen und viel graues Haar. Von einem besetzten Haus war hinterher nichts zu lesen. Thomas Mauch

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