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Ein Haus für all die Holzkisten und Holzwege

Das neue Göttinger „Forum Wissen“ will ein Ort akademischer Selbstreflexion sein und zugleich Laien die Entstehung der Wissenschaften verständlich präsentieren. Das gelingt nicht immer, aber ein Fundament ist gelegt. Und auch der kritische Blick findet Platz

Von André Zuschlag

Mit ein paar Appetithäppchen geht es im Erdgeschoss los: Da liegt die umgekippte Büste des Mathematikers David Hilbert – mit roter Farbe besprüht. 2009 wurde die Büste im Zuge der Schüler:innen- und Studentenproteste gegen Studiengebühren und für eine andere Bildungspolitik in der besetzten Göttinger Aula vom Sockel gestürzt und aus dem Fenster geworfen. Nun soll sie neugierig machen auf das, was da noch kommt – sie soll als einer von vielen Bausteinen einen ersten Ansatz zeigen, was Wissenschaft ist: Streit.

Es sind hohe Ansprüche, die sich die Ma­che­r:in­nen des Forums Wissen in Göttingen gestellt haben: In der traditionsreichen Universitätsstadt soll das neue Museum die Darstellung von Wissenschaft mal eben auf gänzlich neue, bisher ungesehene Weise ermöglichen. Es soll den Be­su­che­r:in­nen vermitteln, wie Wissenschaft entsteht – oder wie es in Anlehnung an dem Göttinger Stadtslogan („Die Stadt, die Wissen schafft“) heißt: Wie man Wissen schafft. Viele Jahre dauerte die Umsetzung dieser Idee, auch eben viel Streit gab es zuletzt noch vor der Eröffnung – doch seit zwei Monaten läuft nun endlich der Betrieb.

Von außen beißt sich der Anblick des Museums mit diesem Anspruch: Beheimatet ist das Forum Wissen nahe des Bahnhofs in einem alten klassizistischen Bau aus Sandstein, in dem vorher das Zoologische Museum seine Ausstellung präsentierte. Nur der rote Namenszug auf dem Dach verrät, dass hier etwas Neues ist.

Schon das Gebäude in seiner stattlichen repräsentativen Schau zeigt ein wenig: Wen das Museum ansprechen will, ist nicht gänzlich klar: Einerseits laden die kritischen Blickwinkel auf die Wissenschaft besonders ein akademisches Publikum dazu ein, in Selbstreflexion zu treten.

Doch andererseits will das Museum auch für Laien ein Ort sein: Hier soll die Entstehung von Wissenschaft verständlich präsentiert werden. Das gelingt vielleicht nicht immer und mit jedem Objekt – doch durch die umfangreiche plastische Darstellung von Wissenschaft erlaubt es einen problemlosen Einstieg ins Verständnis, wie Wissenschaft funktioniert.

Einen Blick in den Maschinenraum will das Forum Wissen in Göttingen dafür ermöglichen. Genau genommen: Es sind mehrere Räume, neun an der Zahl. Und im ersten Raum stehen keine Maschinen, sondern Holzkisten. Darin wurden lange Zeit menschliche Schädel aufbewahrt – Wissenschaft bedeutet Sammeln, auch wenn das nicht immer nach heutigen ethischen Standards verlief. Ob die Menschen noch zu Lebzeiten zustimmten, dass ihre Schädel zu Forschungszwecken in die Göttinger Universität verfrachtet werden, darf bezweifelt werden.

Die Gier nach Mehr hat auch vor der Wissenschaft keinen Halt gemacht. „Forschung kann unmoralisch sein“, erklärt eine Museumsmitarbeiterin den Grundschüler:innen, die gerade eine Führung durch das neue Museum bekommen.

Das Museum strotzt vor kritischen Themen. Mit dem „Holzweg“ ist ein kompletter Raum dem Scheitern von Forschung gewidmet. Zu verdanken ist das vor allem dem ursprünglichen Kreis der Museumsleitung.

Geistes- und Sozialwissenschaften finden nur wenig Platz. Stattdessen ist der Fokus voll auf die Naturwissenschaften gerichtet

Doch der Umfang des kritischen Blicks hatte noch vor der Eröffnung offenbar für eine harte Auseinandersetzung zwischen Wis­sen­schaft­le­r:in­nen hinter den Kulissen gesorgt. Zumindest nahm der Spiegelden Abgang der Museumsdirektorin zum Anlass, von „erbittertem Streit“ zu berichten. Zehn Jahre lang agierte die Historikerin Marie Lusia Allemeyer als Direktorin des noch zu werdenden Museums, bis sie kurz vor der Eröffnung „entnervt“ hinwarf. Der Universitätsleitung passte die wissenschaftskritische Haltung der Museumsleitung nicht.

Als der erst seit 2021 im Amt befindliche Unipräsident Metin Tolan das Museum auch noch der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen unterstellte, glaubten seine Kritiker:innen, er wolle damit das allzu kritisch agierende Museumsteam an die Kette legen.

Deutlich wird beim Gang durch die Räume, was randständig behandelt wird: Geistes- und Sozialwissenschaften finden nur wenig Platz. Stattdessen ist der Fokus voll auf die Naturwissenschaften gerichtet. Damit macht sich die Ausstellung selbst zum Ausstellungsstück für die Debatte darüber, was eigentlich die „richtigen“ Wissenschaften sind – angesichts von umfassenden Sparmaßnahmen auch an der Göttinger Uni in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist das ungewollt aktuell.

Ob das Forum Wissen auf lange Sicht mehr sein wird als ein Museum einer altehrwürdigen Universität, wird sich noch zeigen müssen. Das Fundament dazu ist vorhanden und die ersten angelaufenen Sonderaustellungen – etwa zu postkolonialen Perspektiven auf Pflanzen – lassen aber die Hoffnung zu, dass sich das Forum zu einem bedeutenden Ort für kritische Blicke auf Wissenschaft entwickelt.

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