: Defilee der nackten Spießer
Ein Plädoyer für die Zusammenlegung von Christopher Street Day und Rosenmontag
Der Christopher Street Day war einmal eine politische Demonstration, eine echte Provokation. Zur Erinnerung an den Tag, an dem Schwule in New York sich erstmals vehement gegen Polizeirazzien und -übergriffe wehrten, gingen weltweit Homosexuelle auf die Straße und zeigten, dass sie als Unterdrückungsmasse nicht zur Verfügung stehen wollten. Demütigung und Diskriminierung würden sie nicht mehr hinnehmen.
Diese Botschaft, das war anders als bei protestantischen linken Demos, wurde nicht mit bleierner Ernstmiene, Leichenbittercharme und martialisch geballter Faust vorgetragen, sondern lustbetont. Das war klug und richtig: Menschen- und Bürgerrechte werden einem im Regelfall ja nicht hinterhergetragen – man muss sie erkämpfen, mit möglichst intelligenten Mitteln. Dadurch gewinnen sie auch einen persönlichen Wert. Und sich von tristen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht die persönliche Lebensfreude madig machen zu lassen, ist ebenfalls weise.
Soweit zur Historie. Wenn eine Bürgerrechtsbewegung erste Erfolge erzielt, erlahmt der Elan der Aktivisten, eine gewonnene Schlacht wird vorschnell zum Sieg hochgejubelt. Dass Berlin einen schwulen Regierenden Bürgermeister hat, finden alle ganz, ganz toll und schick und schräg und ein bisschen schrill. Über die asoziale Politik, die Klaus Wowereit vertritt, wird lieber nicht gesprochen.
Wo die Folklore regiert, kann Politik nicht stattfinden. Im Jahr 2005 ist der Christopher Street Day eine Mischung aus FKK-Umzug, Love Parade und Schlagergrandprix, ein Massendefilee äußerst vorzeigefreudiger Herren, die gern ihre Genitalien in die Öffentlichkeit recken und das für interessant halten. Wären die Teilnehmer heterosexuell, die Restöffentlichkeit wäre nur genervt von Massenexibitionismus und sexistischer Selbstdarstellung. Es mag ein Menschenrecht sein, als Homosexueller genau so aufdringlich und verblödet sein zu dürfen, wie viele Heterosexuelle es sind. Für dieses Recht zu streiten, ist allerdings nicht besonders attraktiv.
Martin Reichert sieht das anders. Am 22. Juni frohlockt der Kollege in taz zwei: „Ob in der Fußgängerzone von Detmold oder auf dem Trottoir des sommerlich aufgeheizten Berlins, überall sieht man Männer, die sich im Reinen fühlen mit ihrem Körper und ihn gerne herzeigen.“ Der Satz ist reine Demagogie. Er unterstellt, dass dezente Menschen, die den Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Raum kennen und respektieren und das auch durch die Wahl ihrer Kleidung zum Ausdruck bringen, ein Problem mit ihrem Körper hätten – als stehe nur derjenige mit seinem Körper auf gutem Fuße, der ihn anderen ungebeten unter die Nase reibt. Absurd werden die Verhältnisse umgedreht: Nicht der selbstverliebt-exhibitionistisch sich herzeigende Mensch ist der Quell der Belästigung; vielmehr wird der rücksichtsvoll-zurückhaltende Mann, der sich anderen in der Öffentlichkeit nicht aufdrängt, von Reichert in die „körperfeindlichen oder gar homophoben Redaktionsstuben der Republik“ einsortiert.
Das Wesen des Spießers ist es, alles abzulehnen und zu denunzieren, das anders ist als er selbst. Ins Repertoire der Totschlagargumente gehört der Gratisanwurf der Homophobie. Zuerst reduziert Reichert Politik auf die ästhetizistische Frage der Kleiderordnung – „Vorbei die Zeiten, in denen Mann seine Körperlichkeit unter Tuch, Socken und geschlossenen Schuhen verbergen musste“ –, und dann haut er jedem, der nicht einstimmen will in seine nackte Begeisterung, prophylaktisch den Homophobieknüppel über die Rübe. Im taz.mag vom 18. Juni stöhnt Reichert gemeinsam mit Jan Feddersen sogar über die „Hölle der Homophobie“. Das ist der schwule Gulag: im Sommer eine lange Hose tragen müssen. Mit irgendetwas muss man sich ja wichtig machen als urdeutscher Durchschnittsdämlack. Tut mir Leid: Dafür ist Oscar Wilde nicht gestorben.
Wer langweiliges Körperwelten- und Karnevalsgetue für Politik ausgibt, soll nicht mit dem rosa Winkel angelaufen kommen, wenn er damit nicht reüssiert – der billige, fadenscheinige Trick zieht nicht. Und der Christopher Street Day, zumindest hierzulande längst eine kommerzielle und konformistische Angelegenheit, bettelt geradezu um Zusammenlegung mit dem Rosenmontag. Damit entfiele auch die exibitionistische Belästigung, denn der Karneval der heterosexuellen Spießer findet ja im kalten Winter statt.
WIGLAF DROSTE