Enthemmtes Töten per Joystick?

VÖLKERRECHT Die Linke diskutiert mit Experten die „gezielten Tötungen“ des US-Militärs. Nicht alle lehnen sie grundsätzlich ab

BERLIN taz | Das Timing war ideal, wenn auch zufällig. Die Linken im Bundestag luden zu ihrer Anhörung über „gezielte Tötungen“ zu einer Zeit, in der die USA ihren Drohnenkrieg in Jemen und Pakistan intensivieren. Auch seit bekannt wurde, dass US-Präsident Barack Obama über jede Liquidierung persönlich entscheidet, steht diese Art der Kriegsführung wieder im Blickpunkt.

„Das gehört doch alles verboten“, erklärte Annette Groth, die menschenrechtliche Sprecherin der Linken, am Montag im Bundestag. Doch die Gäste, die die Fraktion zu ihrem Fachgespräch eingeladen hatten, sahen dies deutlich differenzierter.

Der Schweizer Nils Melzer arbeitet am Kompetenzzentrum Menschenrechte der Uni Zürich und gilt in Europa als wichtigster Experte für Rechtsfragen „gezielter Tötungen“. Er stellte klar. „Das gezielte Töten von gegnerischen Kämpfern ist typisch für einen bewaffneten Konflikt und völkerrechtlich zulässig.“

Seit 2002 haben die USA nach Expertenschätzungen in Pakistan, Afghanistan, im Jemen und Somalia rund 2.200 Taliban, Al-Qaida-Kämpfer und Angehörige verbündeter Gruppen gezielt getötet. Sie werden in der Regel mit Hilfe von Spitzeln identifiziert, mit den Kameras ferngesteuerter Drohnen erkannt und mit Lenkraketen getötet. Für die USA ist das Konzept der „targeted killings“ attraktiv. Es ist billig, gefährdet keine eigenen Soldaten und trifft angeblich sogar weniger Zivilisten.

Doch wann liegt ein „bewaffneter Konflikt“ vor, in dem gezielte Tötungen zulässig sind? Und wann geht es nur um die Abwehr und Verfolgung terroristischer Kriminalität, bei der eine vorsorgliche Tötung ausgeschlossen ist? Während sich die USA gegen al-Qaida auf ein völkerrechtliches Selbstverteidigungsrecht berufen, lehnen europäische Juristen dieses Konzept in der Regel ab.

Melzer hält den Streit, ob ein bewaffneter Konflikt mit al-Qaida vorliegt, inzwischen für „müßig“. Er kritisierte die USA, indem er die immanenten rechtlichen Grenzen „gezielter Tötungen“ betont. „Wenn eine Festnahme möglich ist, darf die Zielperson nicht getötet werden“, so Melzer, „und wenn so viele Spitzel am Boden zur Verfügung stehen, frage ich mich, warum nicht viel öfter eine Verhaftung möglich ist.“ Insbesondere kritisiert er, dass die USA nicht offenlegen, nach welchen Kriterien sie gezielte Tötungen anordnen.

Norman Paech, emeritierter Völkerrechtler und Ex-Abgeordneter der Linken, lehnt gezielte Tötungen ab, weil die Zahl der getöteten Zivilisten dabei unverhältnismäßig hoch sei. Außerdem senke die neue Methode der Kriegsführung per Computerjoystick die „Hemmschwelle“ und „entfessele“ das Militär.

Wolfgang Heinz vom Deutschen Institut für Menschenrechte riet der Bundesregierung, zu solchen Methoden „größtmögliche Distanz“ zu halten. Zwar betont die Regierung bisher, die Bundeswehr führe keine gezielten Tötungen durch. Auch die Lieferung von Informationen für Capture-kill-Listen stehe unter dem Vorbehalt, dass sie nur für Festnahmen, nicht für Tötungen benutzt werden dürfen.CHRISTIAN RATH