: Beim Sarkasmus nicht bleiben
Wir wissen um unser aller Erschöpfung wegen all der schlechten Nachrichten und multiplen Krisen. Aber nicht mehr zu informieren, kann keine Antwort sein. Denn handeln kann nur, wer genug weiß
Von Ulrike Winkelmann
Der Seite-1-Redakteur Lukas Wallraff hat die Angewohnheit, seine Titelideen erst einmal mit dickem Filzstift auf Papier zu malen. Damit läuft er dann durchs taz-Haus, in der Hoffnung, auf den – dank Homeoffice entleerten – Etagen doch noch jemanden anzutreffen, der oder die eine verwertbare Reaktion von sich gibt (von „Och nee, das ist doch jetzt geschmacklos“ bis „Genial, mach das so!“). Für die Ausgabe vom 13. Juli 2022 kam der Kollege anlässlich des Welthungerberichts mit seinem Titelentwurf am Büro der Chefredaktion vorbei.
Der Report der Welthungerhilfe ließ sich so zusammenfassen: Kriege, Corona und Klima führen zu einer schweren Hungersnot. Lukas hatte daraus gemacht: „Sonderangebot, schlagen Sie zu: Sieben Krisen zum Preis von einer!“ Das war in der Tat geschmacklos. Aber es war auch gut – denn es wurde deutlich, dass sarkastischer Humor oft Notwehr und damit zulässig ist. Überspitzungen dieser Art können helfen, ein Zuviel von schlechten Nachrichten zu verarbeiten.
Nein, Sie täuschen sich nicht: Die miserablen Nachrichten jagen einander. Auch wir in der taz finden die Weltlage gerade schwer verdaulich. Nur dürfen wir deshalb nicht aufhören, uns für die Welt zu interessieren – wir als Medium sowieso nicht, aber auch LeserInnen wissen ja, warum ihr Interesse an der Welt nötig ist. Ignoranz hat bisher selten etwas besser gemacht.
Doch auch journalistisch sehnt man sich nach Zeiten zurück, als Krankenkassenbeitragsprozente oder Bundespräsidentenrücktritte noch Schlagzeilen machten. Schon bald nach Beginn des Krieges in der Ukraine erschienen Leitfäden für seelenschonendes Zeitungslesen – was angesichts des Sicherheitspolsters, auf dem die Mehrheit der bundesdeutschen MedienkonsumentInnen sitzt, zunächst merkwürdig anmutete.
„Sie sollen ja nur ihre Aufmerksamkeit hergeben und sich nicht selbst irgendwo ins Artilleriefeuer stellen“, war so ein Gedanke. Genau diese Aufmerksamkeit ist jedoch ein empfindliches Gut. Es gibt derzeit offenbar genug Leute, die ihre Wachsamkeit mehr ins Private verlagern und sich lieber um ihre Balkonblumen statt um verglühende Wälder kümmern.
Tatsächlich belegte der „Digital News Report“ des Reuters Institute Mitte Juni, dass das Interesse an Nachrichten international abnimmt – in Deutschland zuletzt besonders stark. Hierzulande gaben für das Jahr 2022 demnach nur noch 57 Prozent der internetnutzenden Erwachsenen an, sehr oder extrem an Nachrichten interessiert zu sein – nach 67 Prozent im Jahr 2021. Die Politik- und Coronanachrichten wurden weltweit als ermüdend bezeichnet. Das Stichwort zu dieser Studie wurde daher „news fatigue“ – Nachrichtenerschöpfung. Speziell junge Leute gaben an, der Nachrichtenkonsum führe doch nur zu Streit und Verwirrung.
Nun fand die Erhebung zu dieser Studie noch vor dem Überfall auf die Ukraine statt. Eine kleinere Nachbefragung nach Beginn des Krieges zeigte jedoch keine Besserung. Der Anteil derer, die angaben, sie würden nun Nachrichten aktiv vermeiden, wuchs in Deutschland stärker als in den Vergleichsländern an.
Um diesem Trend entgegenzuwirken, sind nun auch Spielarten finsterer Ironie auf der Titelseite vermutlich nicht dauerhaft geeignet – so wie böse Witze ja meist nur für einen Moment wirken. Es geht um mehr: Journalismus darf die Menschen nicht lähmen. Er soll wahrhaftig sein, und die Realität ist oft grausam – aber wenn ich davon erfahre, sollte und will ich auch nicht in ohnmächtige Starre versetzt werden.
Die US-amerikanische Publizistin Amanda Ripley nannte in der Washington Post („I stopped reading the news“; Ausgabe vom 8. 7. 22) kürzlich drei Faktoren, auf die es in der Wahrnehmung des Weltgeschehens ankomme: Hoffnung – dass etwas besser werden kann; Handlungsfähigkeit – dass ich etwas tun kann; und Würde – denn die Menschen, über die berichtet wird, sind selbst auch handlungsfähig und keine Objekte.
Die taz hat das im Grunde immer als ihre allererste Aufgabe verstanden: die Leute informieren, damit sie verstehen, dass sie handeln können – das könnte eine der unausgesprochenen Losungen unserer Arbeit von Anfang an sein. Wir müssen uns nur noch häufiger daran erinnern. Denn eine Demokratie darf ihre aufmerksamen NachrichtenkonsumentInnen nicht verlieren. Und die taz nicht ihre LeserInnen.
Ulrike Winkelmann ist – neben Barbara Junge – Chefredakteurin der taz.
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