piwik no script img

Nimmersatt mit Hungerast

Der FC Bayern München möchte in der am Freitag beginnenden Saison mehr als nur einen Titel holen. Die Vereinsführung sitzt Coach Nagelsmann im Nacken

Aus München Maik Rosner

Der Druck von außen sei ihm „piepegal“, sagte Julian Nagelsmann vorm ersten Pflichtspiel der Saison, dem 5:3-Sieg bei RB Leipzig im Supercup am Sonnabend. Zugleich war ihm bei seinen Jubelausbrüchen anzusehen, wie viel Anspannung auf ihm lastet und sich in den Erfolgsmomenten löst. Vielleicht reichte für diese emotionalen Eruptionen ja wirklich schon jene Erfolgspflicht, die sich der Trainer des FC Bayern selbst auferlegt hat. Als Nagelsmann zuletzt über die Ziele für sein zweites Amtsjahr in München sprach, setzte sich der 35-Jährige wie folgt unter Druck: „Es sollte besser werden als in der vergangenen Saison.“

Am Freitagabend beginnt sein zweites Amtsjahr mit dem Bundesligaauftakt bei Eintracht Frankfurt, und wie Nagelsmann erwartet auch die Münchner Vereinsführung mehr. „Wir als FC Bayern wollen weiter zu den Top-4-Mannschaften in Europa gehören“, sagt der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn. Immer wieder äußern Kahn, Präsident Herbert Hainer und Sportvorstand Hasan Salihamidžić das Ziel, alle verfügbaren Titel abzugreifen. In der Cham­pions League soll es mindestens das Halbfinale sein. In Nagelsmanns erster Saison wurde einzig die zehnte Deutsche Meisterschaft in Serie gewonnen, das absolute Pflichtprogramm also. Im DFB-Pokal setzte es das Aus in der zweiten Runde durch das 0:5-Debakel bei Borussia Mönchengladbach. Und in der Champions League verabschiedete sich der FC Bayern im Viertelfinale. Das war schon schlimm genug fürs Selbstverständnis. Erschwerend kam hinzu, dass sich ein vergleichsweise kleiner Gegner als cleverer erwiesen hatte, der FC Villarreal. Nagelsmann weiß, dass sie nun auch in Europas Elite mehr von ihm fordern. „Man hat immer Druck, als Bayern-Trainer sowieso“, sagt er. Bereits im April hatte er angekündigt, er wolle in der kommenden Saison „mehr zu feiern haben als die Meisterschaft, das ist das Ziel“.

Nagelsmanns Vorgesetzte äußern sich auffallend offensiv. „Wir wollen versuchen, jedes Jahr die Champions League zu gewinnen“, kündigte Kahn zuletzt bei Sadio Manés Präsentation an und ergänzte jüngst nach den insgesamt fünf Zugängen: „Jetzt war es an der Zeit, auf dem Transfermarkt Ausrufezeichen zu setzen.“ Es steht eigentlich schon fest, dass die Münchner durch ihre Zukäufe die höchste Investitionssumme in der Vereinsgeschichte übertreffen werden. Im Sommer 2019 zahlten sie fast 140 Mil­lio­nen Euro an Ablösen. Nun bewegen sie sich zwar noch knapp darunter – jedoch allein durch die kolportierten Basisablösen für Offensivspieler Mané (30 Jahre/FC Liverpool/32 Millionen Euro), Innenverteidiger Matthijs de Ligt (22/Juventus Turin/67), Mittelfeldspieler Ryan Gravenberch (20/Ajax Amsterdam/18,5) und Sturmtalent Mathys Tel (17/Stade Rennes/20). Durch erfolgsabhängige Boni können für dieses Quartett insgesamt noch deutlich mehr als 30 Millionen Euro hinzukommen. Ein Teil dieser Zuzahlungen dürfte auf jeden Fall fällig werden, zudem ist das Transferfenster noch bis zum 1. September geöffnet. Verpflichtet wurde auch der ablösefreie Rechtsverteidiger Noussair Mazraoui, 24, von Ajax Amsterdam.

„Wir haben den Kader gebaut für die nächsten Jahre, nicht nur für die Saison“

Herbert Hainer, Präsident des FC Bayern

Dem gegenüber stehen Ablöseeinnahmen von mindestens fast 80 Millionen Euro. Allein Weltfußballer Robert Lewandowski, 33, soll den Münchnern durch seinen Wechsel zum FC Barcelona eine Basisablöse in Höhe von 45 Millionen Euro eingebracht haben. Allerdings fehlen künftig seine jährlich insgesamt mindestens 40 Tore, weshalb Nagelsmann ein Erfolgssystem ohne klassischen Mittelstürmer in der Stammelf entwickeln muss. Das ist ein Novum für den FC Bayern. Eine Doppelspitze soll es richten, die meist voraussichtlich Mané und Serge Gnabry bilden werden.

Sie bewegen sich beim neuen FC Bayern durch die großen Investitionen also im roten Bereich, und auch deshalb ist Nagelsmann besonders gefordert. Sein direkter Vorgesetzter Salihamidžić, 45, hat mit seinen Transfers aus Vereinssicht die Basis für kommende Erfolge gelegt. Es gilt als sicher, dass sein 2023 auslaufender Vertrag verlängert wird. Das will der Aufsichtsrat laut Sport-Bild auf seiner Sitzung am 29. August beschließen. „Wir haben jetzt den Kader gebaut für die nächsten Jahre, nicht nur für die nächste Saison“, sagte Hainer am Sonntag im Sport1-„Doppelpass“. Nagelsmann weiß, was sie von ihm erwarten. Das deckt sich vermutlich mit seinen Erwartungen an sich selbst.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen