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Archiv-Artikel

Mehltau triumphiert

Während Angela Merkel mit 99 Prozent der Stimmen als Direktkandidatin in Stralsund nominiert wird, bannt ihr getreuer Eckhardt Rehberg in Rostock einen gefährlichen politischen Wiedergänger

Elektronische Fußfesseln, Videoüberwachung, Elektroschockwaffen – für Diestel sind das Schritte in die Barbarei

von Benno Schirrmeister

Ü-ber-wältigend. Wirklich grandios. Und so unvorhersehbar wie das Ergebnis einer Staatsratsvorsitzenden-Wahl: Mit 99 Prozent hat die CDU des Wahlkreises 16, der Nordvorpommern, Stralsund und Rügen umfasst, ihre Kandidatin nominiert. Im September sind Volkskammer- – pardon: Bundestagswahlen. Und in Nordvorpommern, Stralsund und Rügen bewirbt sich Frau Dr. Angela Merkel um ein Direktmandat.

Läuft also alles planmäßig für die Union im Nordosten. Und Merkels Triumph war dabei allenfalls der versöhnliche Ausgang einer Woche, zu deren Beginn so mancher im Konrad-Adenauer-Haus recht besorgt nach Meck-pomm geschaut hatte. Grund: Der Versuch eines politischen Comebacks. Und zwar nicht in der WASG. Sondern in der Union. Im Wahlkreis 14.

Der Wahlkreis 14, das ist Rostock und umzu, die größte Stadt des dürr besiedelten Landes. Als Direktkandidat vorgesehen war der Landesvorsitzende Eckhardt Rehberg. Klar: Rehberg ist ein Merkel-Versteher der ersten Stunde. Nicht aber vorgesehen war: Dass es einen zweiten Bewerber gibt.

Den gab’s aber: Auf die Bühne des Warnemünder Kurhauses trat eine historische Figur, die ein echter Merkelianer fürchtet wie den Leibhaftigen. Nein, nicht Schäuble. Es handelt sich um den einzigen Unions-Politiker, der fürs Neue Deutschland regelmäßig Kolumnen schreibt und den einzigen CDUler, der mit Gregor Gysi per Du ist. Oder doch den einzigen, der es zugibt. Das ist Peter-Michael Diestel.

Nun fragt sich, wer in Ostdeutschlandkunde nicht aufgepasst hat: Wer zur Hölle war noch einmal Peter-Michael Diestel. Und das zu erklären ist nicht ganz einfach. Es gibt da so ein paar Ersatz-Namen – letzter DDR-Innenminister, Schnäppchenjäger, Ex-Präsident des Fußballvereins Hansa Rostock, Potsdamer Anwalt, oder einfach „schillernde Figur“. Manche helfen nach, indem sie ihn einen „Querdenker“ nennen. Das ist in konservativen Kreisen ein sehr sehr übles Schimpfwort, vor allem dieses „Denker“. Andere umgehen die Erklärungsnöte, indem sie so tun, als hätte es ihn nie gegeben. Die Christdemokraten des Landes Brandenburg etwa erwähnen ihren bislang erfolgreichsten Spitzenkandidaten in der Festschrift zum 60-jährigen Partei-Bestehen lieber nicht.

Nur verdrängen hilft nichts: So einer kommt immer wieder. Und dann ist das Entsetzen groß in Miss Mehltaus Volkspartei. „Der Versuch“, sagte Diestel später der taz, sei auch für ihn „überraschend gekommen“ und habe ihm „viel Spaß gemacht“. Schließlich habe er „alle geärgert“. Aber, Achtung: „Ich würde nie provozieren.“ Dass er verloren hat, sagt er so deutlich nicht. Stattdessen gibt Diestel bekannt, dass er „den Wahlkreis gewonnen“ hätte, wenn er denn hätte antreten dürfen. Und dass er „stolz darauf“ sei, ein Drittel der Stimmen erhalten zu haben. Schließlich „war mir bewusst, dass ich gegen den Platzhirschen antrete, der seine Claqueure mitbringt“. Über Rehberg, den noch niemand einen Denker genannt hat, sagt Diestel, dass er ihn persönlich sehr schätze. Aber man muss Diestel nicht immer alles glauben.

Der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel hat Feinde nicht nur in den eigenen Reihen. Oft und nicht immer zu Unrecht hat man ihn der Schaumschlägerei bezichtigt. Der Bush-Kritiker und Rechtspolitiker Peter-Michael Diestel hat aber auch getreue Anhänger – vor allem jenseits der Union. Videoüberwachung, Elektroschockwaffen, elektronische Fußfesseln für Schulschwänzer sind aus seiner Sicht große Schritte auf dem „Marsch in die Barbarei“ – ein Affront gegen christdemokratische Innenpolitik à la Hamburg und Niedersachsen. Bedenkenswert auch Diestels Forderung, die Stasi-Akten zu schließen: Eine Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes scheint derzeit ein Delikt, das, genauso wie Mord, nicht verjährt. Ob das wirklich angemessen ist?

Eigeninteresse? Von wegen. Diestel immerhin konnte nachweisen, keinerlei Stasi-Vergangenheit zu haben. Und mit der Akten-Schließung verlöre er etliche Mandanten: Zuletzt vertrat er den sächsischen PDS-Spitzenkandidaten Peter Porsch. Was ihm auch in Warnemünde Pöbeleien eintrug. „Stasi-Anwalt“, das waren so die Zwischenrufe, die Diestel im Kurhaus erntete. Dass zu einem fairen Verfahren auch ein Verteidiger gehört, scheint in der Merkel-Union nicht mehr ganz unumstritten.

Der Sturm ist vorüber. Ruhe ist. Diestel hat verloren. Die Landesliste? „Es steht jedem Kreisverband frei, Listen-Vorschläge einzubringen“, grummelt CDU-Landesgeschäftsführer Klaus-Dieter Götz. „Nein“, gnatzt er auf Nachfrage, „eine Position zu Diestel haben wir nicht.“ Braucht er auch nicht. Diestel: „Ich werde mich nicht um einen Listenplatz bemühen.“ Zumindest nicht in diesem Jahr.