berliner szenen: Künstliche Körper, überall
Die Sonne scheint, das Wasser funkelt, die Grillen zirpen. Die Badestelle am Griebnitzsee, die wir uns ausgesucht haben, könnte kaum perfekter sein. Wären da nicht diese irritierend perfekten Körper.
Während ich es früher an den Berliner Seen immer befreiend fand, einmal echte, also nicht falten- und dellenfrei gephotoshoppte Frauenkörper zu sehen, habe ich heute das Gefühl, weit und breit fast keine Frauen mittleren Alters entdecken zu können, die nichts an ihren Körpern machen haben lassen. Überall künstlich lange Wimpern, die entweder angeklebt sind oder sonst wie künstlich verlängert worden sein müssen und Fingernägel, so unnatürlich lang, dass sie nur aus Gel sein können. Aber nicht nur das: Auch die Bäuche der Frauen um mich herum sind allesamt so straff, dass es nicht mit rechten Dingen zugehen kann.
Die Frauen, zu denen die langen Fingernägel, die überlangen Wimpern und die straffen Bäuche gehören, ölen sich immer wieder ein und räkeln sich in der Sonne, als sei Bräunen ein Beruf. Ich liege neben ihnen auf nassem Sand, weil meine Tochter mir das letzte trockene Handtuch weggerissen hat, um sich abzutrocknen und auch sonst alles bis zum letzten Essen versandet ist und frage mich, wann das mit den Nägeln und Wimpern und Bauchstraffungen angefangen hat, warum die Frauen es machen und woher sie das Geld dafür nehmen.
Nebenbei erfahre ich von der Frau neben mir, dass sie sich als nächstes permanenten Lippenstift spritzen lassen möchte. Als ich gerade darüber nachsinne, wie ich meine Tochter von solch absurden Schönheitsbildern fernhalten kann, springt diese auch schon auf mich zu, schmeißt einen Haufen Matsch auf mich und schreit: „Ich buddele dich jetzt ein, okay? Du wirst die schönste Sandskulptur überhaupt!“
Eva-Lena Lörzer
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