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Archiv-Artikel

Be my number one!

Joe Jackson gastierte im Konzertsaal der UdK und hatte Todd Rundgren und das Streichquartett Ethel dabei. Während Jackson seine Trauriglieder spielte und Mitschnipser düpierte, bratschten Ethel ordentlich was weg. Rundgren wirkte, als würden die Tönelangziehweltmeisterschaften ausgetragen

VON WIGLAF DROSTE

Ein Held aus alten Tagen ist so freundlich, in Berlin Station zu machen: Joe Jackson wird singen, der vor mehr als 20 Jahren im „Rockpalast“ vor einer Meute fühlloser Saufause seinen „Slow Song“ spielte und dem hohlen Schreihallenpublikum die Wahrheit sagte: „I’ve never seen so many drunken Germans in all my life.“ Der Sonntagabend im Konzertsaal der Berliner UdK dagegen war brüllbunkenfrei.

Zunächst betraten zwei stabile Herren und zwei mähnige Damen die Bühne. Streichinstrumente in den Händen, nahmen sie auf einem Podest Platz: Ethel ist ein New Yorker Kampfstreichquartett; dramatisch, kompliziert und vertrackt wurde ordentlich was weggebratscht. Es war nicht alles Ethel Sonnenschein: Irritierend wirkte der physische Volleinsatz. Die Cellistin ruckelte vogelartig verzückt mit dem Kopfe, machte Grimassen für drei und trampelte mit ihren Stilettopömps auf den Boden, als wolle sie zum Erdmittelpunkt durchbrechen. Das zweifelsfrei hochmusikalische Quartett gab unverdrossen alles, mal klang es, als sollte Vivaldi auf Dope zersägt werden, und beim fünften Stück, einem Mississippi-Shuffle von John King, entfachten die vier ein Nervensägewerk, und das Stück rollte.

Winkend verließen Ethel die Bühne, das Podest wurde beiseite gerollt, fünf Minuten musste noch gewartet werden. Um 20.40 Uhr, endlich, stakste Joe Jackson auf die Bühne, schlaksig und linkisch, in einem mild violetten, innen rot gefütterten Frack, setzte sich an den Flügel und begann mit „My Hometown“, das fast nahtlos in „Stepping Out“ übergeht, den großen Hit vom „Night and Day“-Album. Jackson bevorzugt bei den ersten Stücken das Singen im Diskant, wählt geradezu klötengequetschte Tonlagen, und zu den auch ihrerseits eierschneidenden Hochtönen passt die qualvolle Ekstasemiene, die er aufsetzt. Jackson entspannt sich und spricht freundlich-distanziert mit dem Publikum. Beim letzten Mal sei er mit seiner Band in Berlin gewesen, erzählt er, einige Zuschauer juchzen begeistert los, und Jackson hat die Pointe: „The band that is now DEAD“, er sagt das mit großer Freude, setzt aber begütigend hinzu: „… but died happy.“

Der erste Höhepunkt ist die Ansage zu „Love at First Light“. Jackson spricht über die fatale Situation des Aufwachens neben einer Person, die man am Abend zuvor kennen lernte. Fragen gehen einem durch den Kopf: Ende oder Anfang? Was kommt jetzt? Wer bist du? Wenn ich mich doch nur an deinen Namen erinnern könnte …! Sein nächster Pfeil trifft direkt ins Herz: „Won’t you be my number two?“, die verbotenste Frage, die man stellen kann, und eines der schönsten aller Trauriglieder. Ein unveröffentlichtes Stück folgt, „Citizen Sane“, und mit dem guten alten „Is she really goin’ out with him?“ verabschiedet sich Jackson. Bei „Look over there!“ ruft ein Teil das Publikums „There!“ und klatscht mit, sofort wechselt er das Tempo, auch die Mitschnipser werden rhythmisch düpiert. Pause.

Todd Rundgrens Part des Abends ist dran. Der Herr trägt Halblangfrisur, das Deckhaar blond gefärbt, getönte Brille, verheerendes rot-gelbes Sakko überm lindgrünen Hemd und bizarres Beinkleid. „Danke scheen“, sagt er und lobt die „good looking people“ in den ersten Reihen, schrammelt die Gitarre, bei „Love infidel“ werden Verzerrer und Rockerpose eingeschaltet, Sprung mit der Gitarre inklusive, nach fünf Songs wechselt er ans Klavier, macht Stimmakrobatik, zieht alle Pathosregister, fistelt, jault und fiept, es ist ein bisschen traurig anzusehen. Das Spiel mit der Ukulele wirkt pausenclownig und schon latent unwürdig, und würden Tönelangziehweltmeisterschaften ausgetragen, Todd Rundgren wäre auf dem Treppchen. Den „Gospel Spirit“ will er exorzieren und singt „You’ve got to hide your love away“ von den Beatles – aber was schreit er denn immerzu? „One World“ kommt mit Quantenstampfen zur Gitarre, der Mann gibt alles, aber weniger wäre ein Meer der Freude.

Ethel kehren zurück, frisch umgezogen, aber das einoperierte Stoßstangenlächeln mit Käseeckenmundwinkeln hat die Cellistin nicht in der Garderobe gelassen. Mit Ethel als Begleitband streift Rundgren den tristen Charme des einsamen alten Sängers ab, nicht aber den Drang zum dauernden Hochleistungsgesang. Zum Finale kommt Joe Jackson auf die Bühne. „It feels like it was yesterday, but it was nineteenhundredeightyfucking two“, sagt er lachend, und dann singt er das große „Real Men“. Das Lied hat alles, was Grönemeyer mit „Männer“ sagen wollte, aber nicht konnte.

Drei Songs gibt es noch zu sechst, nun wird alles Musik, davon hätte man gern mehr gehört. Den nicht wirklich gut besuchten Saal kommentiert Joe Jackson auf feine britische Weise: „Bring your friends next time.“