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Ein echter Fake

Das Deutsche Hygienemuseum in Dresden sucht in einer Ausstellung nach der Wahrheit im Fake und richtet dafür ein fiktives Amt ein

Ein Beispiel aus der Pseudowissenschaft: Der Gall‘sche Kopf Foto: David Brandt, © Stiftung Deutsches Hygiene-Museum

Von Michael Bartsch

Es war ein Deepfake, noch Ende letzter Woche. Die Berliner Oberbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) dachte eigentlich, per Videoschalte mit Vitali Klitschko zu sprechen. Doch offenbar hatte eine andere Person mit der Technik des Face-Swapping das Gesicht auf dem Bildschirm nur so aussehen lassen, als sei es das des Bürgermeisters von Kiew. Giffey sprach gar nicht mit Klitschko.

Manipulierte Bilder und falsche Nachrichten, sie sind Teil des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Und sie erreichen auch unsere Medien. Was über solche Kriege noch Wahres berichtet werden kann, auch das hinterfragt die Ausstellung im Deutschen Hygienemuseum Dresden. Die Schau untersucht weiter, wie das Phänomen „Fake“ in viele unsere Lebensbereiche vorgedrungen ist.

Der Kurator der Ausstellung und Philosoph Daniel Tyradellis wendet in „Fake. Die ganze Wahrheit“ Techniken und Algorithmen einer Fälschungsmaschinerie an, die für uns alle mit dem steten Gebrauch von Smartphones geläufig geworden sind. Stimmt es, dass tote Katzen zu Benzin verarbeitet werden? Wahr oder Fake?

Die Frage „Was ist Wahrheit?“ ist uralt – das belegen auch die historischen Lügenbücher in der Ausstellung –, aber die Antworten darauf sind in der internetbasierten und zunehmend subjektivistisch bestimmten Informationsgesellschaft noch komplizierter geworden.

Vielleicht hat sich Tyradellis daher für eine Ausstellungsszenografie entschieden, die – wenn auch spielerisch – den Anspruch einer Autorität erhebt. Man geht nämlich hier durch ein „Amt für die ganze Wahrheit“. Die Besucher werden nach Eintritt im Zehn-Minuten-Rhythmus in einen dunklen Raum geführt.

Schauspieler Martin Wuttke begrüßt sie in einem Video als der Chefberater Hans Wahr. Auf den Fluren des fiktiven Amtes wird er ihnen noch in verschiedenen Aufzügen und Funktionen per Video begegnen. „Im Moment geht es mit der Wahrheit drunter und drüber“, stellt er eingangs fest, während er von herumfliegenden Tweets beinahe am Kopf getroffen wird.

Man erfährt von Statistiken über Lügenhäufigkeiten und wird mit dem Gedanken konfrontiert, der Mensch sei das Tier, das lügen kann. Schließlich werden die Besucher aufgefordert, sich auf zwei Feldern im Raum zu Fragen zu positionieren. Ob man heute schon gelogen habe, ob man Werbung auf den Leim gegangen sei, ob man immer die Wahrheit sagen und tatsächlich wissen wolle.

Mit einem Besucherausweis um den Hals ist man dann befugt, durch die Abteilungen des hier inszenierten „Wahrheits­amtes“ zu laufen. Dessen Flure sind in Knallgelb bei schwarzen Böden gehalten (was in Dresden reflexartig Assoziationen mit dem von brutalen Abstiegswahrheiten betroffenen Fußballklub Dynamo weckt).

Biografisch rekurrierend beginnt man sinnvoll in der „Fachabteilung für Lügenerziehung und angewandte Pinocchioforschung“. Es geht nicht nur um Kinderstube und wachsende Nasen, sondern auch darum, wie Zwecklügen den Frieden sichern können. Die Abteilung streift die pubertäre Phase der Selbstinszenierungen. Radsportler Eric Zabel ist plötzlich zu sehen und gesteht seine Doping-Lügen. Erwähnt werden sogar die Kirchen und deren Dogmen, sich im Alleinbesitz der Wahrheit wähnen zu können.

Von den jugendlichen Besuchern okkupiert wird das „Labor für Lügenerkennung“. Sie testen den ominösen Lügendetektor, spielen auch ein Lügen-Kartenspiel, registrieren weniger historische Verfahren zur Lügenerkennung wie Handlesen oder Wahrheitsserum. Aus medialer Sicht besonders interessant sind Präsentationen und Statistiken zum Vertrauen in Berufsgruppen, erfasst von der „Kommission für Glaubwürdigkeit“. Wenig überraschend glaubt der Bevölkerungsdurchschnitt hundertprozentig einem Feuerwehrmann im Einsatz, den meisten Ärzten, zu 85 Prozent sogar dem deutschen Ingenieur. Am Schluss rangieren Versicherungsvertreter und Politiker, wobei in diesem Bereich Ost-West-Unterschiede augenfällig werden.

Schauspieler Martin Wuttke begrüßt als Chefberater Hans Wahr

Entgegen aller „Lügen­pressen“-Kolportage ist das Medienvertrauen den Angaben der Ausstellungsmacher zufolge insgesamt seit 2008 von 29 auf 56 Prozent gestiegen. Im Erfassungszeitraum 2018 bis 2020 soll es ungefähr konstant geblieben sein. An der Spitze liegt der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit mehr als 70 Prozent, das Privatfernsehen bleibt mit nur einem Viertel weit dahinter zurück, Boulevardzeitungen vertraut nicht einmal jeder Zehnte.

Bis vor Kurzem noch verband man wohl allgemein mit dem Begriff „Fake“ die Medienpolitik des ehemaligen republikanischen US-Präsidenten Donald Trump. Inzwischen denkt man vielmehr an die Nachrichtenverbreitung von Russlands Präsident Wladimir Putin. Dem Politiker der „alternative facts“, Trump, ist ein eigener Raum gewidmet. Dabei bettet Kurator Daniel Tyradellis ihn in eine ganze Historie der Falschnachrichten ein. Es wird etwa an den sprunghaften Anstieg der Lügenverbreitung erinnert, nachdem die Nationalsozialisten 1939 das Hören von „Feindsendern“ selbst mit der Todesstrafe ahndeten, und an den undurchschaubaren Informationsdschungel, den das Internet hervorbrachte.

In einem Museum, das einen antiquierten Namen trägt, sich schon einmal als „Lebensmuseum“ verstand, behandelt diese Ausstellung vielmehr die Frage nach einer – wenn man es so sagen kann – „geistigen Hygiene“. Dabei formuliert Daniel Tyradellis im Begleitheft den Gedanken, ob Wahrheit im Erkenntnisprozess nicht vor allem relativ sein kann. „Die Lüge von heute kann die Wahrheit von morgen sein“, sagt schon Amtsleiter Hans Wahr im Begrüßungsvideo.

Zwischen Dresden und Radebeul gibt es übrigens im Gasthof Serkowitz seit elf Jahren ein „Lügenmuseum“. Lüge wird hier als Raum der Fantasie, des Surrealen begriffen, eine skurrile Wunderkammer des Denkbaren.

„Fake. Die ganze Wahrheit“. Deutsches Hygienemuseum Dresden, bis 5. März 2023

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