: Zwiebelmuster an Polemik
THEODOR WOLFF Mit der Kabinettausstellung „Ich will mir gern die Finger verbrennen“ erinnert das Jüdische Museum an Theodor Wolff, Nestor der ebenso liberalen wie kämpferischen Presse in der Weimarer Republik
VON ESTHER SLEVOGT
Das Kürzel T.W. war Legende. Der dazugehörige Leitartikel, der jeden Montag mit unbestechlichem Blick und rhetorischer Verve zu politischen Fragen auf der Titelseite des Berliner Tageblatts Stellung bezog, war es auch. Unter der Chefredaktion von Theodor Wolff, so der Name hinter dem Kürzel, das man zwischen 1906 und 1933 keinem versierten Zeitungsleser erklären musste, war das Blatt zu Berlins New York Times geworden, zum Inbegriff der ebenso kämpferischen wie liberalen Presse der Weimarer Republik. Mit Leidenschaft schrieben Wolff und Kollegen gegen die Radikalen von links und rechts an, da sie weder den linken noch den rechten Fuß auf dem Nacken der Demokratie dulden wollten, wie Wolff es in seinem letzten Leitartikel für das Berliner Tageblatt im März 1933 formulierte.
Wolff war einer der einflussreichsten Publizisten des späten Kaiserreichs und der Weimarer Republik und ein selbstbewusster Schreiber gegen den deutschen Untertanengeist. Kein Staatsgebilde verdanke seinen Bürgern so viel wie das Deutsche Reich, schrieb er 1898 als Neujahrsgruß an das Kaiserreich, doch nirgends sei der Bürger gleichzeitig so machtlos, so arm an politischen Rechten und wirklichem Einfluss. Rudolf Mosse, in dessen Zeitungskonzern das Berliner Tageblatt als Flaggschiff erschien und dessen Theaterkritiker der nicht minder legendäre Alfred Kerr gewesen ist, hatte 1906 seinen damals sechsundzwanzigjährigen Vetter Theodor Wolff aus Paris geholt, der dort bis dahin Korrespondent des B.T. gewesen war.
All dies kann man nun in einer ebenso komprimierten wie informativen Kabinettausstellung im Jüdischen Museum noch einmal nachvollziehen, die diesem bedeutenden deutschen Journalisten gewidmet ist. Ein paar Vitrinen mit großformatigen Fotografien verorten seine Lebensstationen: angefangen mit dem Berliner Tiergartenviertel, wo Wolff 1868 in eine assimilierte jüdische Familie hineingeboren wurde, über Paris, wo der blutjunge Journalist als Korrespondent des Berliner Tageblatts unter anderem mit seinen Berichten über die antisemitische Dreyfuss-Affäre berühmt geworden war, bis nach Nizza, dem Ort seines Exils ab Winter 1933. Die Schau endet mit einer Fotografie des Jüdischen Krankenhauses in Berlin. Dort ist Wolff, nach Aufenthalten in verschiedenen Konzentrationslagern 1943, kurz vor seiner Deportation in ein Vernichtungslager gestorben.
Vor den Fotografien liegen, in der für das Jüdische Museum so typischen Weise, fast zärtlich Alltagsgegenstände aus Wolffs Privatleben den jeweiligen Lebensabschnitten zugeordnet, die sein Biograf Bernd Sösemann im Lauf seines Lebens zusammengetragen hat: Zwiebelmuster-Tassen aus Meißener Porzellan, zum Beispiel. Daraus hätten unter anderem Theodor Fontane, Walter Leistikow und Gerhart Hauptmann getrunken, die im Hause Wolff verkehrt seien, wie die Bildunterschrift vermerkt. Es gibt Briefe, Originalausgaben von Büchern, die Wolff, der sich auch als Romancier und Dramatiker versuchte, geschrieben hat. Ein Theaterzettel aus dem Münchner Theater am Gärtnerplatz zeugt davon, dass dort Ludwig Ganghofer 1898 Wolffs Drama „Niemand weiß es“ inszenierte.
Das Feuer der Leitartikel
Vor allem aber lässt die Ausstellung Wolff selbst zu Wort kommen. Als großformatige Faksimiles präsentiert sie Titelseiten des Berliner Tagesblatts in der berühmten Frakturschrift mit repräsentativen Wolff-Leitartikeln. Süffisant und polemisch ist seine Neujahrsbotschaft vom 2. Januar 1898, in der er das antidemokratische System des Kaiserreichs und die politische Unreife des deutschen Bürgertums scharf ins Visier nimmt. In einem Leitartikel bezieht er leidenschaftlich Stellung gegen die Unterzeichnung des Versailler Vertrages. Zum Jahrestag der Novemberrevolution beklagte er deren blutiges Scheitern und kommt auf die antidemokratischen Moskauer Interessen zu sprechen, die er als treibende Kraft hinter dieser als Soldatenrevolte begonnenen Erhebung vermutete. Auch Wolffs letzter, schon im Exil verfasster Leitartikel ist zu lesen, in dem er Anfang März 1933 noch einmal leidenschaftlich zur Teilnahme an den Wahlen aufruft. Da hatten die Nazis die Republik bereits abgeschafft, weshalb diese Wahlen nur noch eine Farce waren.
Instrumentalisierung
Anlass der Ausstellung ist die Verleihung des diesjährigen Theodor-Wolff-Preises, der Anfang September im Jüdischen Museum vergeben wurde. Dieser seit 1973 vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger vergebene Preis wurde 1962 ursprünglich von Axel Springer gestiftet. In der heißesten Phase des Kalten Krieges hatte der gerade seine Konzernzentrale demonstrativ von Hamburg nach Berlin verlegt und war im Bewusstsein der großen Berliner Zeitungstradition ins Zeitungsviertel an der Kochstraße gezogen, das nun von der Mauer durchtrennt wurde. Springer überbaute damals die Jerusalemer Straße, wo sich, Ecke Schützenstraße, bis 1933 die Zentrale des Mosse-Konzerns (und Wolffs Büro) befunden hatte. Der angesehene Journalistenpreis verdankt sein Entstehen also der Instrumentalisierung des unabhängig denkenden Publizisten Wolff als publizistische Galionsfigur des Kalten Krieges. Auch dies ist ein Subtext der Ausstellung, die in vielerlei Hinsicht zu denken gibt.
■ Jüdisches Museum, tägl. von 10–20 Uhr, bis 31. Januar