Kongo hat Angst vor dem „Tag X“

Die Armee beginnt „Manöver“ mitten in der Hauptstadt, Oppositionelle rüsten zur „Selbstverteidigung“: Kurz vor dem Stichtag 30. Juni, an dem die Opposition ihre Anerkennung der Regierung der Warlords aufkündigen will, steigt die Spannung

VON DOMINIC JOHNSON

Nur noch wenige Tage trennen die Demokratische Republik Kongo vom 30. Juni – dem Tag, ab dem die außerparlamentarische Opposition zu Massenprotesten gegen die Regierung von Präsident Joseph Kabila aufruft. Die Angst vor einer blutigen Konfrontation mit dem Militär prägt seit Wochen die Stimmung in der Hauptstadt Kinshasa. Jetzt beginnt die Eskalation: Seit Samstagabend findet in Kinshasa ein Manöver von Armee und Polizei statt. In Reaktion darauf bilden Oppositionelle Selbstverteidigungsgruppen.

„Wir haben Angst, wir wissen nicht, wie es weitergeht“, berichtet telefonisch eine Augenzeugin. „Wir sehen, wie sich der Militärapparat in Position bringt.“ In der Nacht zum Sonntag fuhren Kampfeinheiten den zentralen Boulevard hinunter, und inzwischen sind auch Wohnviertel betroffen. Kampfhubschrauber begleiten die Truppen, und die angolanisch trainierte Antiaufstandspolizei PIR verstärkt ihre Präsenz.

Einzelne Hochburgen der Opposition rüsten sich zum Kampf. Im Stadtteil Matete gingen nach einem Augenzeugenbericht in der Nacht zu Montag zahlreiche Menschen mit Waffen auf die Straße und harrten bis zum Morgengrauen aus. „Selbstverteidigungsgruppen in den Wohnvierteln gibt es mehr und mehr, sie zünden an den Zufahrtsstraßen Reifen an und bewachen das Viertel mit Macheten“, berichtet ein Bewohner Kinshasas.

Für den 30. Juni und danach haben Oppositionsparteien zu Massenprotesten aufgerufen, um gegen den Machtverbleib der Allparteienregierung aus Kongos bisherigen Kriegsparteien trotz des Ablaufs ihrer ursprünglich auf zwei Jahre begrenzten Amtszeit zu protestieren. Die Regierung hat ihre Amtszeit vom Parlament bis Jahresende verlängern lassen und angekündigt, keine Unruhen zu tolerieren. Sie wird darin von der internationalen Gemeinschaft unterstützt. Gestern traf EU-Kommissionspräsident José Barroso zu Gesprächen in Kinshasa ein.

Die Militärmanöver in Kinshasa waren ursprünglich für vergangene Woche angesetzt, wurden aber verschoben, weil sie sonst mit dem Beginn der Wählerregistrierung zusammengefallen wären. Sie sollen heute enden, und danach bleibt voraussichtlich eine starke Militärpräsenz in Kinshasa stationiert.

Gerüchte heizen die Stimmung an. In der zentralkongolesischen Stadt Mbuji-Mayi, Hochburg der Opposition, feierten am Samstag tausende von Menschen auf der Straße, nachdem sie gehört hatten, Kabila sei durch einen Putsch gestürzt worden. Die Polizei eröffnete das Feuer, es gab fünf Tote. In Kinshasa behauptet die Menschenrechtsorganisation VSV (Voix des Sans-Voix), 8.100 Soldaten aus Angola, 4.060 aus Tansania und 3.000 aus Ruanda seien in der Umgebung stationiert und hätten den Auftrag, gezielt Regierungsgegner umzubringen.

Seit einiger Zeit häufen sich in Kinshasa mysteriöse Morde, deren Opfer zumeist am Morgengrauen schrecklich zugerichtet auf den Straßen gefunden werden. Fotos davon prangen dann in den Zeitungen der Stadt. Manche Bewohner Kinshasas sehen darin eine bewusste Einschüchterungsstrategie der Mächtigen. VSV hat nun die UN-Blauhelme aufgefordert, „die Bevölkerung zu schützen“.

Auch im Osten des Kongo steigt die Spannung. Nachdem die dort aktiven ruandischen Hutu-Milizen ihre Zusage von Ende März nicht umgesetzt haben, ihren Kampf einzustellen und friedlich nach Ruanda zurückzukehren, hat die Afrikanische Union (AU) erneut Beratungen über ihre gewaltsame Entwaffnung aufgenommen. Bis zu 45.000 Soldaten seien dafür nötig, sagte die AU am Freitag. Der EU-Sonderbeauftragte Aldo Ajello erklärte seine Zustimmung.