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Bremen, oder vom Glück des Scheiterns

„Mobile Albania“ zeigt ein seltsames Bremer Roadmovie: Ideal des Drehs war ein hierarchiefreies Filmemachen. Gesorgt hat er für Begegnungen, die auch mal schiefgehen

Von Wilfried Hippen

„Das bin ja ich in dem Film, Digga“ ruft ein Jugendlicher im Jugendfreizeitheim von Tenever, als er Filmaufnahmen von sich und seinen Freunden sieht, die dort vor ein paar Wochen vom Filmteam des Performance-Kollektivs „Mobile Albania“ gedreht wurden. Und um solche Dopplungseffekte geht es den Künstler*innen, wenn sie in dieser Woche sogenannte Sneak Previews abhalten und dafür einige von den Orten, an denen sie gedreht haben, noch einmal mit ihrem alten und klapprigen Bus besuchen.

„Die Bilder zurück zu den Orten bringen“, sagen sie dazu. In Tenever, einem der durch Betonburgen geprägten sozial benachteiligten Stadtteile am östlichen Rande Bremens, lief das am Montag ganz gut: Für die Vorführung des etwa 15 Minuten langen Filmausschnitts versammelte sich etwa ein Dutzend Kinder auf dem Parkplatz vor den Hochhäusern, und auch wenn die mehr an dem kostenlos verteilten Popcorn interessiert waren, war es eine laute, etwas chaotische Vorstellung – also genau das, was sich die Film/Theatermacher*innen wohl erhofft hatten.

Abends klappte es dann nicht so gut: Bremen hat anteilig mehr landwirtschaftliche Fläche als die anderen Stadtstaaten, und das Blockland ist der agrarisch bedeutendste Stadtteil. Aber der Bauer, in dessen Kuhstall Mobile Albania zuvor hatte drehen dürfen, war schon kurz vor 22 Uhr zu Bett gegangen und eingeschlafen, sodass er eher unwirsch auf den Überraschungsbesuch reagierte.

Begegnungen, von denen dann einige auch misslingen, gehören zum Konzept von Mobile Albania, die hier die Grenzen zwischen Aufnahme und Vorführung, zwischen dem Filmen und dem Gefilmten mit viel Abenteuerlust überspringen. Vor ein paar Wochen waren die Frankfurter*innen, die seit fünf Jahren für regelmäßige Gastspiele in der Bremer Schwankhalle anreisen, zu ihrer Reise aufgebrochen.

Sie waren mit ihrem Bus durch Vegesack, Stuhr, Kirchhuchting, auch durch die Schwesterstadt Bremerhaven und durch Tenever und das Blockland gefahren. Statt das Offensichtliche zu dokumentieren, haben sie dort eher das Seltsame, Versteckte gesucht. Und auch gefunden. So trafen sie in Weyhe einen stolzen Hausbesitzer, der ihnen genau das Gartenbeet auf seinem Grundstück zeigte, durch das die Grenze zwischen Bremen und Niedersachsen verläuft. In Bremerhaven bekamen sie die Erlaubnis, in einem Schiff im Trockendock zu drehen, und die Performerin Julia Blawert durfte dort auf der Brücke so tun, als würde sie das Schiff steuern.

Roland Siegwald spielt in Tenever einen „Jungdesigner“ mit schwerem Frankfurter Akzent, der in die Großwohnsiedlung gezogen ist, weil er sich dort „inspiriert fühlt“. Das ist nicht unbedingt überzeugend, aber witzig – genau wie Till Korfhages Auftritt im Blockländer Kuhstall, bei dem er in einer sehr lauten roten Jacke und Rock eine Kosmetikherstellerin spielt, die so tut, als wären die Kühe Arbeiterinnen in ihrer Fabrik, sodass er/sie sich dann Kuhmist ins Gesicht schmiert.

Es gibt einige von diesen Performances des Kollektivs, und besonders wirkungsvoll sind jene, bei denen etwas schiefgeht. So wird etwa Anika Danielle Wagner, die eigentlich für die Kameraarbeit verantwortlich ist, während einer Breakdancevorstellung beim Tanken barsch von der Stimme einer Tankstellenbediensteten verscheucht, denn sie sei nicht nur auf dem „Betriebsgelände“, sondern auch noch auf der „Fahrbahn“.

Bei der Szene sieht man den Tonmann mit seiner Mikroangel und auch sonst werden die Instrumente des Filmemachens nicht, wie sonst üblich, verborgen, sondern geradezu ausgestellt. Die Klappe am Anfang der Aufnahme wird gleich mehrere Male gezeigt, und auf der Tonspur hört man dann auch das bei Dreharbeiten übliche „Ruhe bitte, die zweite Klappe zählt!“ In diesem Sinne ist dies tatsächlich, wie ein Zwischentitel etwa in der Mitte des Films verspricht, „A True Story“. Man sieht das Filmteam beim Drehen, die Dar­stel­le­r*in­nen beim Schminken und man hört das Gepolter eines starken Windes, wenn das Mikro übersteuert ist.

Bei einer Szene sieht man den Tonmann mit Mikroangel und auch sonst werden die Instrumente des Filmemachens geradezu ausgestellt

Da mag vieles auch immer noch geschönt und kaschiert sein, denn aus etwa 30 Stunden langem Drehmaterial wurden die Schmuckstücke für den 105 Minuten langen Film ausgewählt. Aber man spürt den Ehrgeiz des Kollektivs, hier bei aller Spielfreude möglichst realistisch das zu zeigen, was das Team bei seiner Ausfahrt so erlebt hat.

„Ja, was filmen die denn da?“, soll die Reaktion des Publikums sein. Das Ideal war, wie im Film selber verkündet, ein hierarchieloses Filmemachen: „Menschen, Bäume, Steine, Ameisen“ wollten sie gleichwertig abbilden – aber das ist ihnen bei ihrem allerersten Filmprojekt dann doch noch nicht gelungen. So wird etwa der fahrende Bus ständig von der Kamera gefeiert und bei einer Einkehr in der „letzten Bar vor New York“ in Bremerhaven singt eine Dame am Bartresen ein traurig-schönes Lied auf polnisch. Diese Sequenz ist so inszeniert und fotografiert, wie es irgendein(e) Tat­ort­re­gis­seu­r*in auch gemacht hätte.

Aber da dieser Stilbruch so überraschend wirkt, entspricht auch er dem Konzept des Films, radikal mit offenen Formen zu arbeiten. Und so ist das Filmen, obwohl es ja eine Endfassung namens „Mobile Albania – Ein Roadmovie“ gibt, auch jetzt noch nicht beendet.

Bei den Vorstellungen im Stadtraum hat Anika Danielle Wagner heftig mitgefilmt und auch bei dem performativen Filmscreening am Freitag an der Schwankhalle werden viele der Mitwirkenden (die alle nachdrücklich eingeladen wurden) dabei gefilmt werden, wie sie sich selber auf der Leinwand anschauen. Mobile Albania nennen es zwar eine Pre­miere, aber es ist wohl doch eher „a work in progress“.

„Mobile Albania –Ein Roadmovie“, Sneak-Previews nur noch heute, 15. 6., am Fähranleger Motzen, 17 Uhr und am Vegesacker Hafen um 20 Uhr. Premiere ist am Freitag, 17. 6., 20 Uhr in der Schwankhalle Bremen. Eintritt ist frei

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