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Archiv-Artikel

„Im Prinzip ist Piraterie nichts anderes als ein Autodiebstahl“

SEERÄUBER Simon Davis kennt ostafrikanische Piraten und ihre Londoner Mittelsmänner. Ein Gespräch über das Karriereziel Pirat in Somalia

Simon Davis

■ 54, ist Experte für Piraterie in Ostafrika und hat sich auf die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung spezialisiert. Er lebt in London und arbeitet derzeit in Nigeria.

taz: Herr Davis, waren die Piraten schon immer Piraten?

Simon Davis: Die meisten waren Fischer. Erst vor etwa vier Jahren haben sie angefangen, Schiffe, die illegal die Küste von Somalia, Somaliland und Puntland überfischten, anzugreifen.

Woher kamen diese Schiffe?

Aus Thailand, Südostasien und Korea. Es waren nicht nur Fischfänger, die angegriffen wurden, sondern auch italienische und nigerianische Frachter, die Medizinabfälle entsorgten.

Das bedeutet, dass sich die somalischen Piraten anfangs nur verteidigt haben?

Ja. Wenn man bereits kriminell ist und damit Geld machen könnte, dann tut man das auch.

Sind die Piraten in Gruppen organisiert?

Eigentlich möchte jeder sein eigener Chef sein. Vor fünf Jahren segelten fünf bis sechs Männer in einem Boot raus. Heute gehen meistens drei Gruppen in mehreren Booten zusammen auf die Jagd.

Wie hoch ist die Beute?

Seit 2008 sind die Beträge von 350.000 Dollar auf 5 Millionen US-Dollar gestiegen.

Wie kommen die Piraten an das Lösegeld?

Nachdem das Schiff gekapert wurde, können die Piraten nicht direkt mit den Unterhändlern oder Versicherungen in Kontakt treten. Also wenden sie sich an Leute in ihrer Gemeinschaft: „Hat jemand von euch Verwandte in London?“ Diese Person spricht dann die Versicherungen an.

Die dann anstandslos die geforderte Summe bezahlen?

Ja. 99 Prozent des Geldes kommt aus den Versicherungsverträgen. In der Kriminologie wird die Entführung eines Schiffs ein „Verbrechen ohne Opfer“ genannt, auch wenn das eigentliche Opfer der Besitzer des Schiffes ist. Im Prinzip ist das nichts anderes als ein Autodiebstahl.

Und die Piraten in London kümmern sich um den Rest.

Ja, ein oder zwei somalische Geschäftsleute fungieren im Exil als Mittelsleute. Es gibt weltweit 14 Unternehmen mit dieser Funktion. Diese können in zwei bis fünf Minuten Geld in alle Teile Ostafrikas schicken. Die überwiesenen Beträge gehen bis zu 100.000 Dollar.

Hat der Geldregen einen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der Region?

Ursprünglich brachten die Piraten das Geld in die Gebiete, in denen sie arbeiteten. Mittlerweile werden sie destruktiv wahrgenommen. Stellen Sie sich einen 25-Jährigen vor, der nach zwei Wochen auf dem Meer 20.000 Dollar bekommt. Er gibt mehr Geld aus für Essen als der Rest der Bevölkerung und kauft beispielsweise Dinge wie Motorräder, die sich die restliche Bevölkerung nicht leisten kann. Dies führt zu großen sozioökonomischen Problemen.

Inwiefern?

Vorher waren es etwa hundert junge Männer von der Küste. Heute kann Piraterie als Karriereziel gesehen werden. Junge, arbeitslose Somalier kommen aus allen Regionen an die Küste, um Piraten zu werden, obwohl sie noch nie das Meer gesehen haben.

Kennen Sie die Piratenpartei?

Nein.

Was halten Sie von dem Namen?

Da ist etwas durcheinandergeraten. Jeder Typ von Pirat denkt, er beschütze einen besonderen Lebensstil. Dabei tut er etwas gänzlich Illegales und verpasst dem einen romantischen Anstrich.

INA HAMMEL, LILLY BUSCH, BARAN TOPBAS, SINA MARX