Journalistinnen über EU-Asylpolitik: „Europa hat eine gute PR-Maschine“

Für ihren Podcast „Memento Moria“ reisten Sham Jaff und Franziska Grillmeier an den Rand der EU. Ein Gespräch über Europas problematische Asylpolitik.

Ein Schotterweg, der in ein Pinienwaldstück führt, wird von einem rostigen Zaun versperrt. Darauf angebracht ist ein gelbes Schild mit schwarzer griechischer Schrift darauf, ein Schild, dass den Kopf eines Schäferhundes zeigt und ein rundes rotes Schild mit einem weißen, horizontalen Strich darauf.

Seit dem Brand von Moria entsteht auf Lesbos ein neues Fluchtlager – zum Unmut der Inselbevölkerung

taz: Frau Jaff und Frau Grillmeier, während gerade über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine berichtet wird, richten Sie im Podcast „Memento Moria“ ihre Aufmerksamkeit auf Europas Außengrenzen. Wie kam es dazu?

Sham Jaff: Die Situation an Europas Grenzen ist ja schon lange ein Thema. Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine ist aber deutlich geworden, dass die politische Handhabung an den verschiedenen Grenzen sehr unterschiedlich ist. Wir haben uns im Podcast auf die Insel Lesbos konzentriert, die zuletzt im Jahr 2020 groß in den Schlagzeilen war. Danach hat sich die Aufmerksamkeit verlagert und keiner wusste so genau, was dort passiert.

lebt als selbstständige Journalistin auf der griechischen Insel Lesbos und berichtet dort über Migration, die Folgen von Vertreibung und die Folgen der europäischen Migrationspolitik. Sie arbeitet unter anderem für Zeit Online, Spiegel und auch die taz.

Wie ist denn die Lage aktuell in Moria: Wie geht es den Menschen vor Ort?

Franziska Grillmeier: Heute sind mit knapp über 1.000 Be­woh­ne­r:in­nen viel weniger Menschen in dem temporären Fluchtlager, das nach dem Brand von Moria errichtet wurde. Die Ausgangsbeschränkungen werden immer wieder verändert. Im Gegensatz zu Moria ist das Camp nicht mehr frei zugänglich für Journalist:innen. Als Reporterin ist es nicht mehr möglich, mit den Be­woh­ne­r:in­nen in ihren Zelten zu sitzen. Einen Tee zu trinken.

ist interdisziplinäre Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Sie schreibt den wöchentlichen Newsletter „What Happened Last Week“ und war Host beim Podcast „190220 – Ein Jahr nach Hanau“.

Über den Morgen, die Sorgen und das Essen zu sprechen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit steht eine Gruppe von Po­li­zis­t:in­nen vor dem geschlossenen Tor. Gerade wird ein neues Fluchtlager gebaut, gegen das sich die Bevölkerung auf Lesbos jedoch in den letzten Jahren immer wieder vehement gewehrt hat.

In den vergangenen Wochen wurde in vielen Medien über die vergleichsweise bessere Behandlung der Geflüchteten aus der Ukraine diskutiert. Es gibt den Vorwurf, dass nach Geflüchteten erster und zweiter Klasse unterschieden werde. Was ist damit gemeint?

Franziska Grillmeier: In den letzten Jahren haben wir erlebt, wie die Genfer Fluchtkonvention und alles, was damit zusammenhängt, systematisch abgebaut wird. Nach sehr vielen Jahren der Grenzschließung, einer sogenannten Architektur der Abschreckung, hat der Umgang mit den ukrainischen Geflüchteten gezeigt, was trotz allem möglich ist.

Dass die Europäischen Mitgliedstaaten nämlich doch gemeinsam agieren können, um Menschen, die auf der Suche nach Schutz sind, eine Möglichkeit der Unterbringung und die Chance auf ein faires Asylverfahren zu geben. Mir hat das Hoffnung gegeben, dass die Rechtsstaatlichkeit hier aufrecht erhalten wurde. Es hat gezeigt, dass das Recht auf Asyl in Europa noch besteht.

Frau Grillmeier, Sie wohnen seit vier Jahren auf Lesbos, Sie, Frau Jaff, sind zur Recherche dorthin gereist. Wie haben Sie den Ort zuerst wahrgenommen?

Sham Jaff: Ich bin angekommen und habe erst mal eine wunderschöne Urlaubsinsel gesehen. Das ist ein krasser Kontrast zu dem, was vor Ort passiert. Ich habe oft aufs Meer geschaut und gedacht: „Sehe ich vielleicht ein Boot?“ Das war eine komische Gegenüberstellung …

Franziska Grillmeier: …aber auch eine sehr ehrliche. Die Situation auf Lesbos ist ein Brennglas der europäischen Gesellschaft, wo wir immer auch Gleichzeitigkeiten erleben. Viele, mit einem sicheren Dach über dem Kopf, können sich einer solchen Realität entziehen. Es ist auch möglich, auf der Insel direkt zu den wunderschönen langen Stränden zu fahren, ohne an Stacheldrahtzaun, Drohnen und Polizist_innen vorbeizugehen. Welche Räume beleuchtet werden und welche im Verborgenen bleiben – das ist ein Spiegel unserer Gesellschaft.

Für Sie sind diese Orte nicht unsichtbar geblieben. Gab es Situationen, in denen Sie an Ihre eigenen Grenzen gekommen sind?

Sham Jaff: Eine Situation, die mich noch bis heute begleitet, ist der Moment, als wir einen der namenlosen Friedhöfe besucht haben. Das sind inoffizielle Friedhöfe, die nicht ausgeschildert sind. Hier sind die Menschen begraben, die auf der Flucht nach Europa umgekommen sind. Es ist das finale Ergebnis der europäischen Asylpolitik.

Warum die europäische Bevölkerung diese Situation einfach hinnimmt, ist auch eine Frage, die im Podcast verhandelt wird. Wie erklären Sie sich das?

Franziska Grillmeier: Für mich stellt sich weniger die Frage nach der Zivilgesellschaft als vielmehr die nach dem Handeln der Politik. Denn das Recht auf Asyl wird nur mehr simuliert, es wird ausgehebelt und das auf eine so brutale Art und Weise, die die Menschen an den Rand ihrer Existenz drängt. Sie sind sich selbst überlassen und werden in tödliche Gefahr gebracht. Vielen ist die drastische Situation auf dem Meer und in den Lagern nicht bewusst. Das muss bei den Leuten erst mal ankommen, von welcher Dimension der Menschenrechtsverletzung wir hier sprechen.

Sham Jaff: Deshalb haben wir den Podcast auch mit acht Folgen geplant, so konnten wir uns viel Zeit nehmen, um das zu erklären. Selbst mir als Journalistin fällt es nicht immer leicht, die Nachrichten, die wir in unseren Timelines sehen, einzuordnen und zu unterscheiden: Ist das jetzt eine Eskalation, oder ist die Situation doch immer noch dieselbe. Deshalb wollten wir sprachlich und stilistisch möglichst viele Menschen mitnehmen, damit sie über das Thema sprechen können.

Sie wollten auch mit Vertreter_innen der EU über die Situation an den Außengrenzen sprechen. Wie lief das ab?

Sham Jaff: Der Kontakt war schwierig. Wir haben uns früh an die Pressestelle der Europäischen Kommission gewandt. Nach einigen Absagen und nicht beantworteten Anfragen haben wir uns dazu entschieden, ein schriftliches Statement anzufordern, das haben wir bekommen. Aber ein Gespräch ist nicht zustande gekommen.

In der ersten Folge des Podcasts sagen Sie: „Ich verspreche euch, ihr werdet danach einen ganz anderen Blick auf Europa haben.“ Wird das Bild Europas in der Öffentlichkeit zu positiv gezeichnet?

Sham Jaff: Europa hat eine sehr gute PR-Maschine. Wir haben Europa in der Schule oder in der Universität kennengelernt – da wird natürlich nur die beste Seite gezeigt. Europa ist aber vor allem ein politisches Projekt, das Entscheidungen treffen kann und damit Menschenleben beeinflusst. Manchmal positiv, manchmal aber auch sehr negativ. Deshalb brauchen wir eine nuancierte Betrachtung von Europa. Es gibt die Annahme, wir sind hier die Guten und dort sind diejenigen, die wir retten sollen. Wir sehen uns in der hohen Position, Empathie zu verteilen und zu entscheiden, wer willkommen ist. Davon müssen wir wegkommen und stattdessen fragen, worauf solche Entscheidungen basieren.

Franziska Grillmeier: Das eine ist, was auf dem Papier steht, und das andere ist, was gemacht wird. Was wir in der Schule lernen, sind die europäischen Werte und die selbst auferlegte Schutzverantwortung, die dann aber in der Praxis einfach ausgehebelt wird. Und darum geht es, dass man sich wieder an die eigenen Regeln hält. Und die Rechtsstaatlichkeit einhält.

Sie stellen im Podcast die These auf, dass die menschenverachtende Situation in Moria kalkuliert ist und der Abschreckung dienen soll. Würden Sie die These nach Ihren Recherchen bestätigen?

Franziska Grillmeier: Ja, auf jeden Fall. Das ist etwas, was ich lange nicht wahrhaben wollte. Ich dachte, das ist ein humanitärer Ausnahmezustand, dass die Überforderung daran Schuld ist. Das war ja auch so, aber nur zum Teil. Der Ausnahmezustand soll in Richtung Brüssel und Berlin signalisieren: Wir sind hier in Griechenland überfordert und fühlen uns alleingelassen. Die Leidtragenden sind aber die Menschen, die im Sandpapier der europäischen Interessen zerrieben werden, weil sich die Europäischen Mitgliedstaaten nie auf eine gemeinsame Politik einigen konnten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.