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Der Kommentar

Was macht die Grünen stark? Let's talk about Habeck

Die ökosoziale Marktwirtschaft ist jetzt trotz Krieg in Europa keine grüne Luftnummer mehr, sondern das zentrale Zukunftsprojekt der Bundesrepublik.

Habecks Art der offenen Kommunikation kommt – trotz einiger unpopulärer Entscheidungen – bei vielen gut an Foto: Markus Schreiber/AP

Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 24.05.22 | Auf den ersten Blick ist der Wahlsieger bei den jüngsten Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die jeweils nach Prozenten führende CDU. Auf den zweiten Blick sind es die Grünen. In Schleswig-Holstein haben sich die Stimmenanteile der Grünen von 12,8 auf 18,3 Prozent erhöht. In Nordrhein-Westfalen von 6,4 auf 18,3 Prozent. Das könnte bedeuten: Bei den Bürgern in der (alten) Bundesrepublik verdichten sich die Vorstellungen der Grünen von einer ökologisch bestimmten Zukunft der Republik zu einem Leitbild bei der Auswahl ihrer Parteipräferenzen.

Das realpolitische Argumentieren und Regieren der Grünen in den aktuellen Groß-Krisen, in der Klimakrise samt Energiewende, in der Covid-Pandemie, im russischen Angriffskrieg in der Ukraine und beim Kampf der westlichen Demokratien um Freiheit und Rechtstaatlichkeit hat ihnen einen Vertrauensvorschuss bei den Bürgern eingebracht. Dazu tragen Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock mit ihrem zukunftsbeinhaltenden Krisenmanagement entscheidend bei.

Habeck weiß die Energiekonzerne nun an seiner Seite

Der Wirtschafts- und Klimaminister Habeck führt den Ausstieg aus der fossilen Abhängigkeit von Russland mit einer ausgewogenen Strategie zur Sicherung der Energieversorgung und zugleich dem Ausbau der regenerativen Energiegewinnung zusammen. Er spricht dabei offen über die Belastungen und Veränderungen in allen Bereichen des Lebens, die dieser Weg mit sich bringen wird. Er hat die Energiekonzerne gewonnen, sie treiben jetzt den Umbau der Energieerzeugung hin zu den Regenerativen mit eigenen Milliardeninvestitionen voran. Habeck verzichtet dafür auf, im Sinne der Energiewende sinnvolle, aber ideologischen Widerstand auf Nebenschauplätzen auslösende Maßnahmen – wie etwa Tempo 130 auf Autobahnen. Er setzt auf Flüssiggas aus Übersee, investiert öffentliche Mittel in die temporären LNG-Terminals, obwohl er weiß, dass sie zunächst die Abhängigkeit von den fossilen Energieträgern fortschreiben und keine nachhaltigen Investitionen sind. Bei der Abwägung der politischen Kollateralschäden, die er zwischen einem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke oder der weltweiten Beschaffung von Flüssiggas vornehmen muss, bekräftigt er die grünen Kernpositionen zum endgültigen Ausstieg aus der Kernenergie und mildert die Befürchtungen vieler im Hinblick auf Versorgungssicherheit .

Seine Politik gewinnt an Überzeugungskraft, weil mittlerweile fast die gesamte Industrie der Republik den ökologischen Umbau ihrer Produktion jenseits der fossilen Energieträger vorantreibt. Habeck arbeitet daran, der Industrie belastbare, ordnungspolitische Rahmenbedingungen für die Elektrifizierung aller ihrer Produktionswege zu schaffen, damit sie ihre Investitionen für nächsten Jahrzehnte ertragssicher planen kann. Dazu gehört die Zusage, dass auch im Umbau der Energieerzeugung über mehrere Jahrzehnte für alle ausreichend Strom zur Verfügung stehen wird.

Die Elektrifizierung der gesamten Wirtschaft ist greifbar

Habeck priorisiert auf dem Weg zur CO2-freien Industrie in der Bundesrepublik die Elektrifizierung mit den Regenerativen, will den viel zu teuren Wasserstoff nur dort einsetzen, wo es technisch nicht zu vermeiden ist und die Restmengen CO2 über Pipelines in Norwegen im Nordatlantik versenken.

Der Vizekanzler ist sich auch nicht zu schade, bei den Arbeitern der PCK-Raffinerie in Schwedt, die für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze auf russisches Öl angewiesen ist, auf den Tisch zu springen, um ihnen zugewandt – aber ohne falsche Versprechungen – die Risiken und Chancen für ihren Standort zu erläutern.

Wie es jetzt aussieht, hat Habeck tatsächlich Chancen, den Ausstieg aus der fossilen Abhängigkeit von Russland mit dem Umsteigen auf die regenerativen Energieträger zu verbinden und die Elektrifizierung der gesamten Wirtschaft bis 2030 so unumkehrbar auf den Weg zu bringen, dass 2045 Vollzug gemeldet werden kann.

Die ökosoziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik ist damit keine grüne Luftnummer mehr, sie ist als das zentrale politisches Zukunftsprojekt der Republik mit einem schon fast verbindlichen Fahrplan versehen.

Auch Baerbock punktet im Amt

Derweil hat sich Annalena Baerbock als Außenministerin mit ihren mutigen Auftritten auf Weltbühnen und in Kriegsgebieten Respekt und Anerkennung verschafft. Es sind eben nicht nur ihre oft hohen moralischen Ansprüche, sondern auch ihr offen vorgeführter Lernprozess, der den Grünen außenpolitisches Gewicht gegeben hat – von Baerbocks früherem „Keine Waffen in Kriegsgebiete“ bis zur Unterstützung der Lieferung von schweren Waffen und ihrem Satz: „Russland darf diesen Krieg militärisch nicht gewinnen“.

Die CDU hat die Landtagswahlen nach Prozenten gewonnen und mit den beiden Fortysomething-Ministerpräsidenten Günther (Jahrgang 1973) und Wüst (Jahrgang 1975) einen Generationswechsel an ihrer Spitze eingeleitet, zugleich hat sie aber in NRW mehrere hunderttausend Wähler verloren. Im Bundestag aber hat sie neben ihren pflichtigen Oppositionsauftritten bis jetzt keinen originären Beitrag zur Energie- und Klimapolitik vorzuweisen.

Was den Bundeskanzler angeht, so kommt Scholz als reflektierter Macher vor allem mit seiner SPD nicht klar. Deshalb ist es ihm bisher nicht gelungen, seine 100 Milliarden Euro-Zeitenwende für die Bundeswehr im Bundestag mehrheitsfähig zu machen. Auf viele originär sozialdemokratische Fragen hat die SPD eben keine Antworten, etwa wie die im Umbau unvermeidlichen sozialen Ungleichgewichte jenseits schnell verpuffender Geldgeschenke durch strukturelle Reformen des Sozialstaates ökosozial neu auszubalancieren sind.

Der grüne Durchbruch?

Zur FDP muss man sagen, dass sie in der Ampel bisher überaus erfolgreich gewesen ist – als Bremser. Aber ihre Anliegen, die Profitinteressen der Wirtschaft zu priorisieren und die individueller Freiheiten neoliberal zu überzeichnen, haben sich politisch nicht ausgezahlt.

SPD, CDU und FDP wirken wie hilflos im Gestern stecken geblieben. Die Grünen dagegen packen in der Wahrnehmung von zunehmend mehr Bürgern die Probleme von Morgen an.

Die Älteren mögen sich erinnern: Ein halbes Jahr vor der letzten Bundestagswahl waren die Grünen auf Augenhöhe mit CDU und weit vor der SPD dem Kanzleramt schon einmal sehr nahe. Die Arbeit von Robert Habeck in der Ampel macht das ein zweites Mal zur Option. Sollte die Koalition vorzeitig scheitern – weil etwa die FDP glaubt, ihre Positionen besser in der Opposition vertreten zu können – dann liegt es nahe, mit Habeck an der Spitze den sozial ausbalancierten ökologischen Umbau der Bundesrepublik vorzuschlagen. Mit guten Erfolgschancen und breitem Rückhalt bei den Bürgern. Das könnte für die Grünen der zentrale Schritt in die Geschichtsbücher der Bundesrepublik Deutschland werden.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.