dvdesk: Kato und seine Freunde geraten in ein Wurmloch
Das klassische Drama ist durch die Einheit von Raum, Zeit und Handlung bestimmt. Dem eifert die in Kioto angesiedelte Theatertruppe Europe Kikaku in ihrem ersten Spielfilm „Beyond the Infinite Two Minutes“ einerseits nach. Der Raum ist ein nicht weiter spektakuläres Café, vermutlich in Kioto. Dessen Betreiber Kato (Kazunari Tosa), der Held der Geschichte, wohnt direkt über dem Lokal. Das Café, das Treppenhaus, seine winzige Wohnung, später ein Raum weiter oben: Diesen Ort wird der Film, der mit nicht einmal siebzig Minuten sehr kurz ist, niemals verlassen.
Mehr noch: Es gibt im ganzen Film keinen Schnitt, keinen sichtbaren jedenfalls. Alles scheint in Echtzeit gedreht, und in Echtraum dazu, das ganze Geschehen wird von einer einzigen Kamerabewegung gefilmt, in raum-zeitlicher Kontinuität zusammengehalten, wenn nicht zusammengedrängt. Die extrem bewegliche Kamera übrigens, das lassen im Abspann gezeigte Szenen vom Dreh ahnen, ist winzig, einem Smartphone auf den Rücken gebunden, so dass der Kameramann und Regisseur Junta Yamaguchi die aufgezeichneten Bilder live beobachten konnte.
Andererseits jedoch trägt der Film die Unendlichkeit im (englischen) Titel. Und zwar völlig zu Recht. Der scheinbar schlichten Einheit der Erzählzeit steht der helle Wahnsinn der erzählten Zeit gegenüber. Kato und seine Freunde nämlich geraten in ein Wurmloch, also ein Zeitparadox. Harmlos, vergleichsweise jedenfalls, fängt es an. Kato kehrt aus dem Café zurück in die Wohnung, da spricht ihn aus dem Fernseher jemand an. Dieser Jemand ist er selbst. Diese andere Selbst befindet sich unten im Café und erklärt, es spreche als Kato der Zukunft zu ihm.
Genau zwei Minuten betrage die Zeitdifferenz. Ein scheinbar kleiner Riss im Zeit-Kontinuum, er hat jedoch, sobald man genauer darüber nachdenkt, beträchtliche Konsequenzen. Und Drehbuchautor Makoto Ueda hat ziemlich genau darüber nachgedacht, denn Schritt für Schritt entfaltet er die Zeit-Paradoxie sehr konsequent in Richtung Absurdität. Es kommen dafür eine Reihe weiterer Figuren ins Spiel, gegen Ende gar eine Art Zeit-Reise-Polizei. Erst ein paar Spielereien mit geldwerten Tipps aus der Zukunft. So richtig das Hirn verdreht es einem aber, sobald im Café Monitor gegen Monitor steht: Dadurch wird eine Schleife zwischen Vergangenheit und Zukunft geschaltet und beides in potenziell unendlichem Regress in die Tiefe gestaffelt. In der Mitte muss die Gegenwart in schlimme, vielmehr höchst komische Turbulenzen geraten.
Das Spiel mit Zeit-Paradoxien ist nicht neu, vielmehr ein Science-Fiction-Standard, der auch von Hollywood immer neu variiert wird. Im Film selbst wird auf die Inspiration durch eine Erzählung des Manga-Autors Fujiko Fujio verwiesen (beziehungsweise des Autoren-Doppels, berühmt für den Klassiker „Doraemon“, das sich hinter dem Name verbirgt). Grundsätzlich hat man alle Paradoxien, die hier vorgeführt werden, schon mal gesehen. Aber selten hat man sie in einer solchen Verbindung von einfacher Experimentalanordnung, Lust am schieren Probieren und ingeniöser Ausgetüfteltheit erlebt.
„Beyond the Infinite Two Minutes“ ist zugleich schlicht und komplex. Der Echtzeit-Dreh ein logistischer Horror. Das Budget winzig, der Aufwand an Kostüm und Sets minimalistisch, aber alle Beschränkungen erweisen sich beim genauen Hinsehen gerade als Stärken. Wenn bei einer Idee alles sitzt, bedarf es keiner Sperenzchen. Der weltweite Siegeszug des Films durch die Festivals des fantastischen Films bis hin zur DVD-Veröffentlichung nun auch in Deutschland ist vollauf verdient. Ekkehard Knörer
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