MÄDCHEN UND BIERCHEN ZWISCHEN SCHLAFEN UND SPEIEN
: Besuch der vielen Schwestern

VON RENÉ HAMANN

Schon mal in einer Kirche geschifft? Und anschließend im Kirchhof zu einem Kassettenmitschnitt einer hr-Clubnacht aus den Neunzigern Tischtennis gespielt? So war das, am Sonntag. Wobei zu sagen ist: Die Kirche ist eine ehemalige und hat tatsächlich ein eigenes Örtchen in einer Ecke, während die alten Kirchenbänke als Verfügungsmasse abgeholt wurden (jetzt stehen da Stühle); und der Kirchhof im authentischen Soldiner Kiez (massenweise Migrationskinder auf der Straße) darf von den Mietern mitgenutzt werden.

Der hr-Clubnight-Mitschnitt war übrigens der eigentliche Star des Abends. Sven Väth legte absolut rockenden Techno auf, dazwischen gab es Verkehrsmeldungen von verstörten Autofahrern, die vor lauter Euphorie auf den falschen Fahrbahnen unterwegs waren. 1993 war schon ein tolles Jahr.

Los ging das Wochenende aber ganz woanders. Nämlich in einer kleinen Küche einer 1-Raum-Wohnung im Schillerkiez. Fünf Schwestern und ich und Gespräche über ein „Koagel“, das zum Beispiel als Nachgeburt einer Nachgeburt auftaucht; und über missratene Onkel, die auch gern einmal die Freundin des Sohns am Arm packen und den Satz herausherrschen: „Du kommst jetzt mit in den Wald!“ Österreicher, klar.

Luftig war es dann auf dem Flugfeld, dem ehemaligen Flughafen Tempelhof. Ferngesteuerte Autos, Drachen, die hoch in der Luft einfach stehen bleiben, und Informationskabuffs mit Eisverkauf (allerdings viel zu teuer und nicht gut sortiert).

Abends ging es dann mit den Schwestern, den Schwestern meiner Freundin, alle aus Wien, auf die Piste. Nach dem Spiel natürlich erst. Und was böte sich da eher an als die Achtziger-Party im SO? Oje, mag man jetzt denken, täuscht sich aber: Geboten wird guter, klarer Spaß. Der Altersdurchschnitt der Meute hat irrerweise nämlich nicht viel mit dem Anlass zu tun. Es gibt eine Menge Jungvolk, und so einige haben sich dem Anlass gerecht aufgehübscht – es gab sogar einen Tiffany-Verschnitt. Dazu Wadentattoos, Oberschenkeltattoos und drei schwere Jungs als DJs. Die es dann auch fertigbrachten, ungerührt „Boys Don’t Cry“ hinter „Girls Just Wanna Have Fun“ zu setzen. Oder: „Deutschland muss sterben“ von Slime nur gefühlte zwei Lieder von Bonnie Tyler („Holding Out for a Hero“) entfernt zu spielen.

Aufschlussreich war der Abend sowieso: Die Achtziger waren das Jahrzehnt des Pathos und gleichzeitig das der neonbeleuchteten Coolness. Prunk und Macht, Pomp und Verzweiflung. Der Dreck (Midnight Oil zum Beispiel) ist immer noch Dreck, während das Gute (Depeche Mode) immer noch gut ist. Die DJs – D Raider, Naked Zombie und Hans AXT, das Motto der Reihe lautet „Dancing With Tears in Your Eyes“ – haben es außerdem drauf, auch im Trash gut auswählen zu können. Statt Rick Astley lief eben Samantha Fox. Und wie lange hat man „Touch Me“ nicht mehr gehört?

Die Schwestern sind dann mit dem Taxi zurück in den Prenzlauer Berg, es leuchtete schon am Himmel. Eine war schon am Tisch eingeschlafen, die andere musste aus dem Wagen speien.

Der Kater am Samstag war allerdings schon hart. Das Gestöhn von Maria Scharapowa im Nachmittagsprogramm war ausnahmsweise kaum zu ertragen, die blauen Augen von Sara Errani hingegen sahen sehr tief aus. Das Spiel der Holländer gab es dann zum vierten Kaffee vor dem „Lombardo“ am Zionskirchplatz; das Abendspiel von Schland in der Dunckerstraße.

Berlin ist übrigens eine freundliche Stadt im Sommer. Auf dem Weg zum Rudelgucken lernen sich Menschen aus aller Herren und Damen Länder kennen – Kroaten sprechen deutsche Frauen an; Italiener welche aus Madrid. Die Wienerinnen sind von Tegel aus wieder zurückgeflogen. In der Kirche im Soldiner Kiez werden demnächst vielleicht auch noch Spiele übertragen.