: Niemand traut mehr „großen Projekten“
Senegal gilt als Vorreiterstaat für grüne Energie in Westafrika. Doch die Menschen in der Stadt Bargny leiden unter der Klimakrise und den Folgen der Industrialisierung – und fürchten, mit jeder neuen Megabaustelle noch mehr zu verlieren
Aus Bargny Katrin Gänsler (Text und Fotos)
Er steigt die Treppe in den ersten Stock im Haus seines Bruders hinauf. Dann steht Idy Gueye auf der großen, halbfertigen Dachterrasse. Mit dem Zeigefinger fährt er über das Geländer und blickt seine verfärbte Fingerkuppe an. Auf das Haus, das in der 70.000 Einwohner*innen großen Stadt Bargny steht, hat sich feiner Kohlenstaub gelegt. Drinnen überziehen die Partikel Möbel und Lebensmittel, ringsherum haben sie aus einstmals grünen Flächen eine graue, ausgemergelt wirkende Landschaft gemacht. Es liegt am Kohlekraftwerk, auf das Gueye zeigt. Wie viele Meter genau es vom Haus entfernt steht, lässt sich nicht sagen. „Viel zu dicht“, ist sich Gueyes Familie sicher.
Bargny liegt 35 Kilometer von Dakar, der Hauptstadt des Senegals, entfernt und ist in den vergangenen Jahren zum Zentrum der Industrialisierung geworden. Diese soll Arbeitsplätze in einem Land schaffen, in dem die Bevölkerung – aktuell knapp 18 Millionen – jährlich um 2,7 Prozent wächst. Pro Jahr drängen rund 200.000 junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Laut nationaler Statistikagentur ist fast jede*r Vierte ohne Job.
Von der Dachterrasse blickt man im Westen auf die Nachbargemeinde Rufisque, wo das Unternehmen Sococim 1948 eine Zementfabrik errichtete. Das dortige Kohlekraftwerk wurde 2017 in Betrieb genommen. Ex-Präsident Abdoulaye Wade, der 2012 gegen den jetzigen Amtsinhaber Macky Sall verlor, trieb das Projekt voran. Heute steht es in krassem Widerspruch zum Image eines grünen Senegals. Das Land gilt in Westafrika als Vorreiter für Solarenergie. Die Menschen von Bargny allerdings müssen mit dem Kohleschmutz leben.
Erste Afrikareise
Vom 22. bis 25. Mai besucht Olaf Scholz Senegal, Niger und Südafrika – seine erste Afrikareise als Bundeskanzler. Senegal hält den Vorsitz der Afrikanischen Union, Südafrika ist G20-Mitglied und Niger ist ein wichtiger Militärverbündeter. Senegal und Südafrika kommen auch zum G7-Gipfel in Deutschland im Juni.
Den Süden nicht verlieren
Die Reise ist Teil deutscher Bemühungen, mehr Länder im globalen Süden vom westlichen Vorgehen gegen Russland zu überzeugen. Diese „große Herausforderung“ betonte Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt diese Woche.
Doch das ist nur eine Seite, bloß der Anfang. Idy Gueye dreht sich gen Osten. Noch sind dort nur ein paar Container zu sehen, die als provisorische Bürogebäude dienen. Doch schon bald soll hier ein 500 Hektar großer Rohstoffhafen entstehen, der nicht nur bis zum Nachbarort Sendou reichen, sondern – so heißt es – der größte in ganz Westafrika werden soll. Der Bau von Häfen entlang der Atlantikküste trägt seit Jahrzehnten maßgeblich zur Küstenerosionen bei. In der ganzen Region ist längst sichtbar, dass Landflächen schrumpfen.
Idy Gueye kann noch mehr aufzählen. Im Gespräch sind ein neues Stahlwerk, eine Sonderwirtschaftszone sowie die sogenannte Pôle urbain de Diamniadio. Eine neue, als nachhaltig beworbene Stadt jenes Namens ist auf einer Fläche von 1.600 Hektar geplant und soll sich über vier Gemeinden erstrecken, darunter Bargny. Viele neue Arbeitsplätze sollen entstehen, zu den Partnern des Projekts zählt die Weltbank. Dass es tatsächlich viele neue Jobs schafft, davon geht allerdings niemand in der Region wirklich aus. Das ist ja schon mit dem Kohlekraftwerk nicht gelungen.
Dabei braucht Bargny dringend Perspektiven. Einst war die Stadt ein beliebter Ausflugsort für Urlauber*innen und Tagesgäste aus der Metropole Dakar. Entlang des breiten Strandes boten kleine Restaurants ihre Köstlichkeiten an. Heute ist am Wasser nur noch ein schmaler Streifen Sand übrig, so stark hat sich das Meer bereits ins Land gefressen. Besonders gut sichtbar wird das rund einen Kilometer vom Kohlekraftwerk entfernt. Hier ist Fatou Samba aufgewachsen, wie schon ihre Eltern und Großeltern. „Früher waren wir eine gute Gemeinschaft, in der jeder jeden kannte“, sagt die Stadträtin und Präsidentin der Vereinigung der Frauen in der Fischverarbeitung. „Die Fischerei war unsere Haupteinnahmequelle.“
In Sichtweite des Hauses liegen Pirogen – schmale, bunt angemalte Fischerboote – an Land. Durch den Klimawandel steigen Meeresspiegel und Wassertemperaturen kontinuierlich an, was es etlichen Fischarten schwer macht. Um überhaupt noch etwas zu fangen, müssen Fischer heute viel weiter aufs Meer hinausfahren als früher, was mehr Geld für Treibstoff verschlingt. Seit 1979 existiert ein Fischereiabkommen zwischen dem Senegal und der EU. Laut der aktuellsten Übereinkunft, die über fünf Jahre läuft, erhält der Senegal eine Kompensation für die Klimafolgen von 15 Millionen Euro. Bei lokalen Fischern kommt davon bisher aber nichts an.
Mariam Ndiaye sitzt mit acht Frauen vor einem kleinen Gebäude, von dem die Farbe abbröckelt. Hier wird der Fisch noch per Hand weiterverarbeitet: ausgenommen, geräuchert und gesalzen. Die unmittelbare Umgebung wirkt verlassen. „Mein ganzes Leben lang mache ich das schon. Es wird immer schwerer, davon zu leben, weil es keinen Fisch mehr gibt“, klagt die 70-Jährige. Gleichzeitig steigen die Preise für andere Lebensmittel. Auch Mariam Ndiaye sagt, dass all die Industrialisierungspläne der lokalen Bevölkerung keine Arbeit bringen.
Ein zweites Standbein war für viele lange die Landwirtschaft. Möglich machte das ein Regenrückhaltebecken im Norden der Stadt, welches das ganze Jahr für die Bewässerung der Felder garantierte. Doch die zahlreichen Großprojekte haben die Anbauflächen verschwinden lassen. Insbesondere für junge, ungelernte Arbeitskräfte sei das eine Katastrophe, erklärt Cheikh Fadel Wade, Koordinator des örtlichen Netzwerks für Umwelt- und Naturschutz. „Fischerei und Landwirtschaft brauchen viele Hände und haben viele Menschen beschäftigt.“ Für die neuen Megaprojekte werden andere Leute gesucht. Er befürchtet, dass das zu sozialen Spannungen führen wird.
Die könnten auch durch knapper werdenden Wohnraum entstehen. Zurück bei Fatou Samba, die von ihrem Haus aufs Meer schaut – vor allem aber auf Ruinen. Der Klimawandel ist hier tatsächlich unübersehbar. Mitunter quetschen sich Dutzende Menschen in praktisch halbierte Häuser, viele Familien haben alles verloren. Weil das Meer sich ausbreitet. Eigentlich sollten sie neue Häuser bauen können. Die Stadträtin spricht von mehr als 1.400 Grundstücken, die für die Opfer der Küstenerosionen vorgesehen waren. Doch sie wurden ausgerechnet dort ausgewiesen, wo letztlich das Kohlekraftwerk entstand, weil ihm mehr Bedeutung zugemessen wurde. Die Frustration ist groß.
Cheikh Fadel Wade, der Umweltschützer, befürchtet, dass die Menschen von Bargny als Modernisierungsgegner*innen dargestellt werden könnten. Deshalb betont er, dass niemand gegen neue Projekte sei. „Was die Bewohner ärgert, ist die fehlende Mitsprache.“ Entschieden werde nicht vor Ort, sondern auf höchster Ebene in der Hauptstadt Dakar. Die Betroffenen können nur Studien zu den Auswirkungen erstellen, Einsprüche einreichen – und immer wieder gegen ihre Verdrängung protestieren.
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