Das Entlastungspaket der Regierung: Schluss mit Geldgeschenken!

Die immer neuen finanziellen Zuwendungen deutscher Regierungen lösen keine strukturellen Probleme, sondern stärken letztlich den autoritären Populismus. Ein Gegenvorschlag.

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Von UDO KNAPP

taz FUTURZWEI, 03.05.22 | Die Energie- und die Wärmewende, die Corona- Pandemie und der russische Angriffskrieg in der Ukraine lockern die Grundfesten des Sozialvertrages in der Bundesrepublik. Die durch den Sozialstaat für fast alle austarierte Wohlstandskultur gerät ins Wanken. Von den Zwängen des Gesundheitsschutzes vor den Folgen der Pandemie, von den Zwängen zur CO2-Reduzierung bis 2045 und von den Zwängen der Remilitarisierung der europäischen Sicherheitspolitik zur Absicherung westlicher Freiheiten geht Druck auf die Gesellschaft aus. Die bisher weitgehend hingenommene Reichtumsverteilung wird – eingebildet oder real – als sich beschleunigendes Auseinanderdriften von unten und oben erlebt.

„Wir werden alle ärmer“, so hat Vizekanzler Robert Habeck die sozialen Entwicklungen für die nächsten Jahrzehnte beschrieben. Auf der politischen Tagesordnung steht die Frage, wie darauf so reagiert werden kann, dass der gesellschaftliche Zusammenhalt erhalten bleibt. Dafür müssen die Zumutungen und Einschränkungen nicht nur hingenommen, sondern von großen Mehrheiten mitgetragen werden, die diese Lasten sehr lange werden aushalten müssen.

Heute dominiert, über alle politischen Lager hinweg, die sozialdemokratische Idee einer ausgleichenden Verteilung des von allen erwirtschafteten Reichtums. Diese Idee hat aber trotz ihrer historischen Erfolge ihre gesellschaftliche Integrationskraft verloren. Das belegen etwa die Erfolge der rechten und linken Populisten bei der Präsidentenwahl in Frankreich mit ihren zusammen über 50 Prozent aller Wählerstimmen im ersten Durchgang. Beide Politikmodelle sind nationalistisch, demokratiefeindlich und eine ernst zu nehmende Kampfansage der unteren und mittleren Teile der französischen Gesellschaft an ihre führenden bürgerlichen Eliten. Aber außer angeekeltem Erschrecken über die da unten, die nicht begreifen wollen, wie gut es ihnen im durchregulierten Sozialstaat doch geht, kommt von dort nur die alten Strategie des „ Stopft ihnen das Maul“ – mit immer neuen finanziellen Zuwendungen.

Das Entlastungspaket der Bundesregierung ist von Verzicht auf langfristige strategische Orientierung bestimmt

Diese nur konsumistischen Entlastungen reichen nie dazu aus, die strukturellen Ursachen der Defizite, die sie adressieren, wirklich anzugehen. Sie lösen nur neue Forderungen nach weiteren finanziellen Hilfen aus. Genau das hat die Wut auf die Politik der bürgerlichen Eliten und populistischen Hass auf die herrschende Politik befeuert.

Das Entlastungspaket der Bundesregierung ist von genau diesem Verzicht auf jede langfristige strategische Orientierung bestimmt. Alle Einkommenssteuerpflichtigen Erwerbstätigen erhalten zum Ausgleich ihrer steigenden Energiekosten einmalig eine steuerpflichtige Pauschale von 300 Euro. Grundsicherungs- und Hartz IV-Bezieher erhalten einmalig 200 Euro. 100 Euro gibt es einmalig für die ALG1-Bezieher, und der Kinderzuschlag aller dieser Bezieher-Gruppen wird um 20 Euro im Monat erhöht. Die Mineralölsteuer für Benzin wird um 29 Cent, für Diesel um 14 Cent abgesenkt, ohne Verpflichtung der Mineralölwirtschaft, diese Steuersenkung an die Autofahrer weiterzugeben. Oben drauf gibt es das 9-Euro-Ticket für den regionalen ÖPNV. Die Kosten des Gesamtpaketes belaufen sich auf etwa vier Milliarden Euro. Und die Frage ist, wie es eigentlich im Herbst weiter gehen soll, wenn diese vier Milliarden aufgebraucht sein werden – und alle Großprobleme immer noch nicht gelöst sind.

Schadensfreiheit für alle Bürger im laufenden ökologischen und weltpolitischen Großumbau wird es nicht geben. Die Belastungen gerade für die mittleren und unteren Teile der Gesellschaft werden zunehmen. Diese Bürger werden für längere Zeit mit erhöhten Preisen, Konsum reduzierenden Regulierungen und mit Mengen- Rationierungen leben müssen, etwa bei der Energie. Soll sich diese Entwicklung nicht zu einer antidemokratischen Hassopposition auswachsen, muss die Politik mehr aufbieten als immer zu wenig Geld.

Ein erneuerter Sozialstaat ist eine realisierbare politische Option

Der Sozialstaat könnte auf ein erneuertes Fundament gestellt werden. Neben seiner sozialen Grundsicherungsfunktion könnte er um ein institutionell abgesichertes Angebot öffentlicher Güter weiterentwickelt werden. Energie, Mobilität, Wohnen, Bildung und lebenslanges Lernen würden hier mit einem für alle gleichen und nahezu kostenfreien Zugang zur Verfügung stehen.

Am Beispiel kostenloser Energie für alle kann diese Perspektive erläutert werden. Schon in wenigen Jahren lässt sich der Strom aus regenerativen Quellen für weniger als ein Cent bis hin zu null Cent pro Kilowattstunde herstellen – nicht nur in Arabien, wo das heute schon möglich ist, sondern auch in Europa. Dann würden sich alle Kosten der Energieerzeugung auf die Kapitalkosten reduzieren. Der gesamte Überbau der Stromwirtschaft, der heute die privaten und wirtschaftlichen Verbraucher quält, würde überflüssig. „Grüner Strom würde zu einem öffentlichen Gut, geerntet auf einer staatlich ermöglichten Energie Allmende, für alle kostenlos verfügbar,“ so haben das die Wissenschaftler De la Vera und Range in der Welt beschrieben.

Fast kostenlose Energie für alle, das mag verrückt klingen, ist aber technisch und finanziell auch heute schon umsetzbar, wenn der politische Wille da ist. Gleiches gilt für eine fast kostenlose Mobilität für alle, ganz gleich, wo sie leben. Durchgehend kostenlose Bildung für alle ist, ist zumindest in der Bundesrepublik schon heute Realität, den fehlenden kostenlosen Kindergarten anzufügen, keine große Sache mehr.

Der Sozialstaat könnte mit einem solchen Ausbau der öffentlichen Güter und ihrem fast kostenlosen Gebrauch der sozialen Gerechtigkeit und der Chancengleichheit ein neues Fundament schaffen.

Ein auf diesem Weg erneuerter Sozialstaat ist eine realisierbare politische Option, die den populistischen Parolen der Rechten und Linken als zukunftsfähige Perspektive entgegengesetzt werden kann. Mit Geldgeschenken, die über Kredite für die öffentlichen Haushalte finanziert werden müssen, als Versprechen, dass alles so bleiben kann, wie es immer gewesen ist, ist eine Weiterentwicklung zu einer zukunftsfähigen, ökologischen Demokratie nicht möglich. Wahrscheinlicher ist in diesem Fall eine von den Zurückgelassenen mit Mehrheiten bei Wahlen erzwungene Wiederkehr autoritärer Barbarei.

UDO KNAPP ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für taz FUTURZWEI.

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