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Norddeutschland ist einfach viel zu flach

Mit einer witzlosen Ablach-Odyssee zeigt das Landestheater Schleswig-Holstein, mit einer rührseligen Pfeffersackrevue das Ernst-Deutsch-Theater Hamburg, was für sie Heimat ist

Von Jens Fischer

Das Genre Heimatroman haben längst auch formidable Schreibkünstler für sich entdeckt, weil es per se ein Medium ist, sich mit Identität auseinanderzusetzen. Nun ziehen die Bühnenkünstler nach. So adaptierte das Thalia Theater vergangenes Jahr mit Dörte Hansens „Mittagsstunde“ das Romanporträt eines friesischen Dorfes.

Als nächste Hamburger Institution ist jetzt das Ernst-Deutsch-Theater dem Trend gefolgt, mit einer Zeitreise durch 150 Jahre Hamburger Hafen – als Identifikationsort und Symbol für Macht sowie Internationalität. Und das Schleswig-Holsteinische Landestheater sucht im Road-Drama „Odysseus meerumschlungen“ nach der norddeutschen Seelenheimat. Beide Inszenierungen feierten am Wochenende Uraufführung und sind sich in einem einig: Heimattheater geht nur mit fettem Happy End. Damit keiner dazwischen funkt, haben die Au­to­r:in­nen Erik Schäffler und Constanze Behrends auch gleich die Regie ihrer Uraufführungen übernommen.

„Umschlagplatz der Träume“ ist das Hafenstück betitelt. Will also wohl kritisch mit fernwehen Assoziationen vom Tor zur weiten Welt, der Faszination für riesige Maschinen und Seefahrtromantik spielen. Erstmal flattern Möwen in Zeitlupe übern Bühnenvorhang, flankiert von massiven Containern. Die alte Reederin Charlotte Tiedenbreuk träumt sich von der – erst im September 2022 stattfindenden – 833. Hafengeburtstagsshow zurück in die Kindheit. Eben tatterte Darstellerin Mignon Remé noch großmütterlich am Bühnenrand, jetzt tollt sie als Kind herum. Papa wird als Kapitän auf einer Schiffsattrappe hereingeschoben. Arbeiter wickeln Taue auf, Vorgesetzte brüllen Befehle, ein Musiker quetscht Sehnsuchtstöne aus dem Bandoneon. Schon verfallen alle dem Musical-Geist des Abends und singen Texte wie „Umschlag ist das Zauberwort / Umschlag gibt uns allen Brot. / Kommt ein Schiff, dann: toller Ort. / Doch kommt keins, ist große Not!“

Auf der Bühne ist harte Arbeit angesagt. Nämlich endlos von Schäffler recherchiertes Wissen zu verlautbaren, was so passiert ist vom Ende der Segelschifffahrt bis zur Einweihung der Elphi. Mehrstimmig vorgetragen gelingt es nicht, politische, soziale und wirtschaftliche Themen organisch in Bühnenhandlung zu verwandeln. Was auch das Personal lähmt. Statt differenzierte Figuren aus ihrer Hafenheimatbezogenheit zu entwickeln und die Herkunftsfolklore zu fokussieren, sind zumeist nur staksige Stereotype zu erleben.

Klischeehaft auch die einzige Charakterentwicklung des Abends. Die junge Tiedenbreuk hinterfragt den Reichtum ihrer Familie, wird Frauenrechtlerin und schließlich Unternehmerin. Typisch für einen Heimatroman, dass ein Fremder ins wohlgeordnete Milieu eindringt – in Unkenntnis der dortigen Verhaltensregeln. In diesem Fall sitzt Kesselklopfer Klaas am Tisch der Pfeffersackfamilie, wird verhöhnt und antwortet mit einem revolutionären Ausbruch. Schon ist 1. Weltkrieg und er schwenkt die rote Fahne, aus einer Posaune dringen Töne der Internationalen. Mit der Liebe zu Charlotte aber wird es nix. Als knallharte Geschäftsfrau endet sie verhärmt und desillusioniert. Vielleicht auch wegen der bis zur Leblosigkeit überladenen Produktion. Obwohl sogar der Klabautermann mitspielt, der als koboldig schabernackende Spukgestalt ein prima vitalisierendes Element der Handlung sein könnte, aber nur freundlich abgerissener Sidekick und Moderator bis zur finalen Versöhnung ist. Ökonomie und Ökologie, Reederin und Hersteller von Segeln für Containerschiffe heiraten, ihre Firmen fusionieren. Heimat ist in Hamburg dort, wo gute Geschäfte gemacht werden.

Unter antikem Portal scheint Regisseurin Constanze Behrends im Rendsburger Theater dramatisch mehr zu wollen. Statuen von Zeus und Aphrodite schütteln den Gips von ihren Körpern und sehen sich angesichts aktueller Gender-Debatten zu göttlichen Eingriffen genötigt.

Denn der Odysseus von heute, kurz Seas genannt, ist nicht mehr das Urbild eines griechischen Heroen, sondern warmherziger Vater, begeisterter Stricker, leidenschaftlicher Koch eines griechischen Lokals und liebender Partner seiner Penelope, die alles Betriebswirtschaftliche managt und für ihre Pennyfuchserei kurz Penny genannt wird. Geschlechterrollentausch also, inklusive beidseitigem Bekenntnis zum Feminismus.

Szeneapplaus erhält Odysseus‘alias Seas‘Sohn, als er Aphrodite an die Brust grapscht

Aber das Konzept scheint ausgereizt. Penny haut dem Gatten „Schlappschwanz“ um die Ohren. Den will Zeus nun aufwecken und mit einer Odyssee zur guten, alten Männlichkeit reifen lassen. Nicht von Troja nach Ithaka, sondern von Flensburg über Rendsburg, Fehmarn, Lolland, Tønder, Sylt und Husum geht die Abenteuerreise. Anno 2022 ist der Zyklop ein Schläger mit Augenklappe, den Odysseus empathisch psychotherapiert. Circe erscheint dem modernen Mann als Go-go-Tänzerin, beide kiffen, gackern, machen Party und so weiter. Anschließend schwärmt das Sexbiest von erstmals erlebter Intimität des Zusammenseins. Keine Irrfahrt ins Herz des Machismo findet also statt, sondern einfühlsame Männlichkeit wird als heldenhaft gefeiert. Dabei ist die mythologische Ebene nur ein Gag, keine inhaltlichen Auseinandersetzungen folgen.

Schauspielerisch setzt der Abend im blau-weißen Griechen-Lokal-Design auf Comedy. Wenn Winnetou aus Bad Segeberg, Metal-Head aus Wacken, Wikinger-Schausteller aus Haithabu auftreten und ein paar ältere Zeitungsschlagzeilen zwecks Lokalkolorits aufploppen, ist das mäßig lustig wie auch ohne Mehrwert. Und die Figuren? Im Berliner Wedding hat Behrends seit 2004 in 100 Theatersitcom-Folgen Kiez-Typen satirisch vorgeführt, damit sind sie und das Prime Time Theater bekannt geworden. An der Spree kennt sie sich aus. Den Menschen zwischen Nord- und Ostsee auf und unter den Pelz zu rücken und wirklich etwas über Nordlichter zu erzählen, gelingt ihr nicht. Geradezu hilflos zitiert Behrends die Imagekampagne einer Brauerei-Werbung mit versonnen gen Horizont blickenden Menschen, die am Strand Bierflaschen ploppen lassen. Nur, dass in Rendsburg dann nicht atmosphärisch geschwiegen oder mit fließend ironischer Wortkargheit gepunktet wird. Stattdessen gibt es Stand-up-Witze. Emanzipation? „Warum heißt dat nich Efrauzipiert? Dat wär doch besser. Dann wären die nich so wie Männer.“

Szeneapplaus erhält Seas’Sohn, als er Aphrodite an die Brust grapscht. Die Autorin lässt Frauen wie Männer auch lebensnah sexistisch drauflossabbeln und stellt Dänen ausschließlich als Witzfiguren dar. Dabei pendelt der Abend zwischen Comic, Soap und Telenovela, nur ohne das Tempo der schnell geschnittenen TV-Formate.

Die Pointen sind zu dünn gesät und etwa Geschlechteridentität oder Vegetarismus werden nur schlagwortartig behandelt. Letztlich ist das Stück nicht mehr als eine 08/15-Eheknatschgeschichte mit beiderseitigem Seitensprung und geläuterter Rückkehr in den Schoß der heiligen Familie. Dass damit der Kern der norddeutschen Seele entdeckt wäre, wie die Premierenankündigung nahelegt, muss bezweifelt werden.

„Umschlagplatz der Träume. Ein Hamburger Hafenstück“ von Erik Schäffler, wieder vom 30. 5. bis 4. 6. täglich, 19.30 Uhr, Ernst Deutsch-Theater, Hamburg

„Odysseus Meerumschlungen. Eine Irrfahrt von Rendsburg nach Flensburg“, von Constanze Behrends, Schleswig-Holsteinisches Landestheater wieder am 11.5., 20 Uhr Husumhus, Husum; 12.5., 20 Uhr, Stadttheater Heide; 13. & 18. 5., 19.30 Uhr, Stadttheater Flensburg; 15.5., Stadthalle, Niebüll; 21.5., 19.30 Uhr, Slesvighus, Schleswig; sowie 22.5., 19 Uhr und 25. 5., 19.30 Uhr, Stadttheater Rendsburg.

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