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Mode als Haltung

Kleidung und Mode gelten vielen als banal. Doch vielleicht bergen sie gerade deshalb großes Protestpotenzial. Eine kleine Spurensuche modischen Widerstands – unter aktuellen Vorzeichen

Von Katharina J. Cichosch

Absicht oder nicht? Als russische Raumfahrer Mitte März die Internationale Raumstation ISS betraten, trugen sie Anzüge in leuchtendem Gelb mit blauen Applikationen. Die in diesem Kontext eher ungewöhnliche Farbkombination hatten sich die Männer selbst ausgesucht – irgendeine müsse man ja nehmen, verkündeten sie ihre vorgeblich pragmatische Wahl. Es sei einfach so viel gelber Stoff übrig gewesen.

Die weltweiten Spekulationen über diese Entscheidung ließen im Kontext des gerade angelaufenen russischen Angriffskrieges allerdings nicht lange auf sich warten: Rasch wurde die Farbwahl als subtiler Protest gegen den Einmarsch in die Ukraine gefeiert. Diese Interpretation gilt inzwischen zwar als widerlegt. Trotzdem sieht man immer wieder Menschen, die ihre in Russland inzwischen faktisch nichtexistenten Möglichkeiten zum Protest durch Outfits in den ukrainischen Landesfarben zum Ausdruck bringen. Blaue Hose, gelbes Oberteil. Blau-gelbe Sneakers. Oder auch nur ein zartes Accessoire, eine gelbe Tulpe vielleicht. Man muss in diesen Tagen kein ukrainischer Patriot sein, um sich in Blau und Gelb zu kleiden. Es genügt, sich gegen den brutalen Angriffskrieg aussprechen zu wollen.

Je verbotener die Farbkombi, umso gefährlicher die modische Solidaritätsbekundung. Ganz ähnlich übrigens in Weißrussland, wo Menschen verhaftet werden können, die Rot und Weiß tragen – ein Farbcode für die Landesflagge, die Diktator Lukaschenko 1995 abgeschafft hatte. Eine Frau wurde im letzten Jahr abgeführt, weil sie rot-weiße Socken in der U-Bahn trug. Den russischen Behörden wiederum kann aktuell schon das angestaubteste aller politischen Bekundungen, das Peace-Zeichen nämlich, Anlass genug für eine Verhaftung geben.

Vestimentärer Widerstand

Mode ist Zeichensprache, deren potenzielle Zielgruppe vorab nie ganz genau bestimmt werden kann. Je verfahrener die politische Ausgangslage, desto diffiziler muss das Close Reading ausfallen. Wobei die großen Protestbewegungen sich auch immer wieder sehr deutlicher visueller Codes bedient haben.

Camille Benda, Kostümbildnerin und Leiterin des Kostüm­instituts am California Institute of The Arts, hat hierzu Ende 2021 einen Band herausgegeben. Nur wenige Monate später liest der sich geradezu prophetisch, wenngleich sein Einstieg noch stark auf Donald Trump und die USA gerichtet ist – Blau und Gelb sieht man hier nur am Rande als Flagge bei den Maidan-Protesten. „Dressing the Resistance“, so der Titel des Buchs, spannt den Bogen vom Button bis zum Protestaufzug, von den Suffragetten bis zu Black Lives Matter. „Jede Revolution startet mit einem Wechsel der Kleidung“, wird vorab der französische Kritiker René Bizer zitiert. Er hat den Satz 1913 geschrieben.

Camille Benda: „Dressing the Resistance: The Visual Language of Protest Through History“. Princeton Architectural Press 2021, 208 Seiten, 25,99 Euro

Die historische Perspektive gelingt Benda besonders überzeugend. Detailliert zeichnet sie die Geschichte der Mode als Statussymbol, Klassenkampf in Arbeiterdenim, die Kleidung ehemaliger Sklavinnen und Sklaven, die Bedeutung modischer Sub- als Gegenkultur für politische Bewusstseinswerdung nach. Kleidung als ebenso günstige wie wirkmächtige Form des Widerstands. Dabei geht es immer wieder auch um Farben, wie aufschlussreiche Einschübe über deren vestimentäre Symbolgeschichte zeigten: Pink oder Rosa, so lernt man hier beispielsweise, waren im 16. Jahrhundert noch Lieblingsfarbe modebewusster Herren der europäischen Oberschicht. Erst im Zweiten Weltkrieg erfolgte eine 180-Grad-Wende zur Girlifizierung.

Aber die Umdeutung von Süß zu Power funktioniert problemlos: Im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh treten Frauen heute als kämpferische Gulabi Gangs in fantastischem Fuchsia für ihre Rechte ein. Statt Fackeln tragen sie rosafarbene Stöcke, die bei Bedarf auch gegen übergriffige Männer eingesetzt werden.

Trotz dieses Ausblicks bleibt der Fokus klar auf den USA, amerikanischen Bürgerrechtsbewegten, Occupy Wallstreet oder den Pussy-Hats-Trägerinnen, die ihrerzeit gegen Donald Trump auf die Straße gingen. Geht es um Phänomene wie zum Beispiel die religiöse Zwangsverschleierung, bleibt das Buch an der Oberfläche. Dabei ist natürlich auch diese Bekleidung voll ambivalenter Geschichten und Neuinterpretation – nur eben komplexer als hier skizziert.

Beispielsweise die Burka, die Frauen in Afghanistan nach Machtergreifung der Taliban (wieder) zu tragen haben, wenn sie möglichst unbehelligt durch den Alltag kommen und zum Beispiel unbemerkt eine Schule besuchen möchten. Keineswegs als modische Entscheidung – aber durchaus pragmatische Kleidungswahl, die unter den gegebenen Umständen gewisse Dinge erst ermöglicht. „Diese Frauen finden Protest in einem Kleidungsstück, das fürs westliche Auge restriktiv erscheinen mag, aber selbst eine Art von Freiheit und Schutz bietet“, schlussfolgert die Autorin am Ende einer knappen Passage, als ob nicht beides zutreffen könnte und das eine das andere erst notwendig machen würde.

Auch der iranische Tschador habe seine eigene „Geschichte des Widerstands“, wird hier ein bisschen mehrdeutig zusammengefasst. Tatsächlich war der Schleier vor dem Verbot durch den Schah und der verpflichtenden Wiedereinführung durch die Sittenwächter durchaus beliebtes Kleidungsstück für viele Frauen, die das Kopftuch anfangs ungern ablegten. Etliche protestierten ihrerzeit gegen die neue Vorschrift. Dabei dürfte eine Rolle gespielt haben, dass jener Tschador ursprünglich ein Statussymbol für Wohlstand war, vor allem den mächtigen Frauen vorbehalten.

Ein spannendes Beispiel modischen Protests der letzten Jahre, das sich ebendort ereignete, findet man nicht im Buch: 2016 trugen etliche iranische (Ehe-)Männer plötzlich Kopftuch – aus Solidarität mit den Frauen im Land und Protest gegen den geschlechtsspezifischen Kleiderzwang. So lustig die Protestkampagne ausschaute, so ernst war die Angelegenheit. Dagegen ist Producer-Star Pharrell Williams im gänseblümchenberankten „GIRL“-Oberteil ein irgendwie sympathischer, aber natürlich auch ganz zahmer und zudem vieldeutiger Beitrag zu Gleichstellung und Genderdebatte.

Pink oder Rosa waren im 16. Jahrhundert noch Lieb­lingsfarbe modebewusster Herren der europäischen Oberschicht

Mode macht das Gefälle politischer Handlungsmöglichkeiten unmittelbar sichtbar. Was in dem einen Teil der Welt wohlfeile Kritik sein kann, wird andernorts plötzlich brandgefährlich. Mode ist zur gleichen Zeit verspielter und existenzieller als andere Formen des Protests. Man kann sich ihr zum Beispiel im Moment einer Festnahme meist nicht so einfach entledigen. Kleidung schützt und bedeckt den Körper, erweitert ihn aber zugleich in den öffentlichen Raum.

Gerade weil Mode so alltäglich ist, sollte ihr Widerstandspotenzial nicht unterschätzt werden. Den russischen Autoritäten jedenfalls war offenbar daran gelegen, die Deutungshoheit über ihre Kosmonauten wiederzuerlangen: „Manchmal ist Gelb einfach nur Gelb“, ließ die russische Raumfahrtbehörde wissen. Der spöttische Unterton konnte den Verlust des eigenen Cool, den man gegenüber dem hysterischen Westen so gern raushängen lässt, nur leidlich verbergen. Tatsächlich wurden die Kosmonauten wohl auch schon 2015 in gelben Raumanzügen gesichtet – sollte aber keiner auch nur auf andere Gedanken kommen. Die Rechtfertigung musste unbedingt noch durch den Äther.

Die Politik der eigenen Regierung stellt derweil ganz handfest klar, dass man Blau und Gelb keineswegs bloß als Farben betrachtet, deren Wahl den Bürgerinnen und Bürgern im Land ganz leger freigestellt würde. Eine Moskauerin mit entsprechender Kopfbedeckung und einem blau-gelben Herzanstecker beispielsweise wurde schon zu 30.000 Rubel Strafzahlung verdonnert. Ihre Accessoire-Auswahl sei, so die Begründung, eine Beleidigung des russischen Militärs.

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