: „Ich sitze wohlig in Mutters Bauch“
Der Kinosessel als Couch: Im Hamburger Abaton gibt’s Filme mit psychoanalytischer Begleitung
Svenja Boysen
Jahrgang1965, hat in Hamburg Psychologie studiert und war lange im Krankenhaus Ginsterhof tätig. Seit 2011 hat sie in Hamburg eine eigene Praxis als Psychotherapeutin.
Interview Wilfried Hippen
taz: Frau Boysen, warum passen Kino und Psychoanalyse so gut zusammen?
Svenja Boysen: Wir lieben es ja, im Kino Bilder zu betrachten und Geschichten erzählt zu bekommen, die in der Regel in uns etwas wachrufen. Die Situation ist ja so, dass wir da im Dunklen und Warmen sitzen. Psychoanalytisch kann man fast sagen, ich sitze wohlig in Mutters Bauch und überlasse mich einer Situation. Und dann löst das Gesehene etwas in mir aus. Ich werde berührt, empört, vielleicht auch genervt oder gelangweilt.
Es geht also gar nicht darum, wie der Film ist, sondern wie wir ihn erleben?
Genau! Ein wenig ist solch ein Film auch wie ein Traum, und das Gespräch darüber könnte man mit einer analytischen Situation vergleichen. Wenn nach dem Film das Licht angeht, sitzen wir mit vielen Gefühlen da. Der Analytiker oder die Analytikerin lädt dazu ein, darüber zu reden.
Wer erzählt, bekommt also eine kleine Gratisanalyse?
Na ja, durch den Austausch auch mit den anderen ZuschauerInnen beginne ich zu denken, nachzudenken und vielleicht sogar zu verstehen.
Aber melden sich da nicht nur die wenigen Mutigen?
Die Zuschauer und Zuschauerinnen kommen ja nicht, um eine Therapie zu machen. Und im Kino guckt man ja auch immer ein wenig durchs Schlüsselloch. So schauen und hören viele dann auch bei den Gesprächen nur zu – und manchmal gehen auch sie mit einer Erkenntnis aus dem Kino heraus.
„Pollock“ von Ed Harris, psychoanalytisch begleitet von Matthias Oppermann, So, 15. 5., 11 Uhr, Abaton, Hamburg
Was genau ist Ihre Funktion bei diesen Veranstaltungen?
Ich arbeite für das Michael-Balint-Institut und lade Kollegen und Kolleginnen ein, die sich selber jeweils den Film aussuchen. Wir setzten uns dann im Vorfeld zusammen und beschäftigen uns ein wenig mit dem Film. Einige halten vorher kurze Einführungen, in der Regel soll die Situation aber offen sein.
Mit fällt auf, dass in Ihrer und ähnlichen Filmreihen nur künstlerisch bedeutende Filme gezeigt werden. Wäre es nicht spannend, auch triviale Filme zu „behandeln“?
Das ist ein Problem. Ich suche zum Beispiel schon lange jemanden, der eine Veranstaltung zu „Pretty Woman“ macht. Da gibt es bei den Kolleg*innen gewisse Hemmungen. Andererseits hatte ich einen Kollegen, der hat „The Hateful 8“ von Quentin Tarantino gezeigt. Ich dachte, da müsse das Kino doch brechend voll sein, aber es sind dann nur wenige gekommen.
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