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Archiv-Artikel

Selbstmord mit Zuschauern KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE

Die SPD-Fraktion wird sich am Freitag bei der Vertrauensfrage wohl überwiegend enthalten. Damit soll dieses Prozedere verfassungsrechtlich etwas seriöser erscheinen. Das Kalkül: Wenn eine Fraktion und nicht nur die Minister an dieser Inszenierung teilhaben, wirkt das Ganze ernsthafter. Aber selbst bei freundlicher Betrachtung streift das die Grenzen des Lächerlichen.

Es scheint also so, dass wir es mit einem Konflikt zwischen Politik und Recht zu tun haben. Auf der einen Seite will fast die ganze politische Klasse Neuwahlen. Auf der anderen Seite stehen die Verfassungsrichter in Karlsruhe und der Bundespräsident, die angesichts der Tricks, mit denen dabei gearbeitet wird, die Augenbrauen hochziehen.

Doch dieser Konflikt ist keineswegs der Kern – er ist eher ein Spiegel der zu Grunde liegenden politischen Verwirrung: Was will Schröder? Erstaunlicherweise fehlt für die Neuwahlen noch immer eine einigermaßen einleuchtende Begründung. Nach den verlorenen NRW-Wahlen könne Rot-Grün nicht mehr gegen die Unionsmehrheit im Bundesrat regieren, hieß es. Doch das rechtfertigt Neuwahlen keineswegs, denn auch bei einem rot-grünen Sieg im Bund wäre das Mehrheitsverhältnis ja noch das gleiche. Dann war zu hören, dass Schröder nach dem NRW-Desaster fürchtete, dass ihn die Parteilinke erpressen könnte. Das mag sein oder nicht. Die enormen Schwierigkeiten, überhaupt jemand zu finden, der Schröder glaubhaft das Vertrauen verweigert, spricht jedenfalls nicht dafür. Aber selbst wenn: Seit wann inszenieren Kanzler Neuwahlen, um Probleme zu umgehen, die sie möglicherweise in Zukunft haben werden?

Schröders Neuwahlidee war kein raffinierter Coup, wie anfangs manche meinten. Sie ist ein auf offener Bühne vollzogener Selbstmord, Schiffbruch mit Zuschauern. Eine Art Rücktritt in Kampfpose. Alle wissen das, aber niemand darf es im rot-grünen Lager zu laut sagen. So werden die SPD-Parlamentarier Ja zu ihrer eigenen Abwahl sagen, indem sie Schröder das Vertrauen verweigern. Paradoxerweise wird die SPD-Fraktion damit zeigen, dass sie lieber mit Schröder untergeht, als ihm wirklich das Vertrauen zu entziehen. Man möchte derzeit nicht in der Haut der Sozialdemokraten stecken.