piwik no script img

Hommage an eine große Komponistin

Lili Boulanger? Fast vergessen ist die 1918 jung gestorbene Komponistin. Die Neuköllner Oper widmet ihr die Oper „Lili“ und lässt ihre musikalisch-dramatische Kraft leuchten

Von Katharina Granzin

Die französische Komponistin Lili Boulanger war das, was man „früh vollendet“ nennt. Sie musste es sein, denn ihr Leben war schmerzhaft kurz und von Jugend an von Krankheiten gezeichnet. Als sie 1918 mit 24 Jahren starb, hinterließ sie ein unglaublich reifes und umfangreiches Werk. Ihre Schwester Nadia Boulanger, auch sie eine berühmte Musikerin, überlebte die sechs Jahre jüngere Lili um sechs Jahrzehnte, die sie auch dafür nutzte, das Andenken an das Werk der Schwester lebendig zu halten.

Hierzulande ist die Musik von Lili Boulanger nicht viel mehr als eine Randnotiz im Konzertbetrieb. Das kann nichts mit der unstrittigen Qualität ihrer Musik zu tun haben, aber vielleicht hängt es unter anderem damit zusammen, dass ihr ja nicht die Zeit blieb, längere, gar abendfüllende Werke zu komponieren. Die einzige Oper, die Lili Boulanger je schrieb, blieb unvollendet. Kürzere bis mittellange Vokalwerke dagegen nehmen breiten Raum in ihrem Schaffen ein. Ihre starke Affinität zur Vokalmusik rührte daher, dass die Schwestern Boulanger in einem Sängerhaushalt aufwuchsen (die Mutter war Sängerin, der Vater Komponist und Gesangslehrer).

Die Neuköllner Oper, nie verlegen um die Kreation neuer Bühnenformate, hat sich den Umstand zunutze gemacht, dass es eben keine abendfüllende Oper von Lili Boulanger gibt, und mit „Lili“ ein Stück produziert, in dem Boulangers zwischen Impressionismus und Spätromantik schwebende, kraftvolle Musik eine prominente Rolle einnimmt, dazwischen aber in Spielszenen Episoden aus dem Leben der Komponistin gezeigt werden können.

Der feministische Anspruch, der die Produktion begleitet, wird zum einen von Autorin Änne-Marthe Kühn (die gemeinsam mit Dramaturg Bernhard Glocksin für den Text verantwortlich zeichnet) sowohl im Bühnentext transportiert als auch im Programmheft betont: dort mit einem informativen Beitrag über die erschreckende Unterrepräsentiertheit der Werke von Komponistinnen im Konzertbetrieb.

Zum anderen umweht die Bühnenfiguren von Lili und Nadia Boulanger, so wie sie in Neukölln auf die Bühne gestellt werden (Inszenierung: Andrea Pinkowski), ein deutlicher Hauch von Blaustrumpf. Das gilt vor allem für die Hosen tragende Bühnenpersona der Lili, die von Johanna Link burschikos und mit einer wohldosierten, aber fast schon berlinerischen Schnoddrigkeit gegeben wird: Eine Haltung, in der sich zweifellos auch Lilis Tapferkeit angesichts ihrer geringen Lebenserwartung ausdrückt. Josephine Lange als Nadia, Ursula Renneke als Mutter Boulanger und Judith Shoemaker als Lilis Freundin Miki komplettieren das Sprech-Personal.

Das dramatische und musikalische Herzstück des Abends ist Lili Boulangers Kantate „Faust et Hélène“

Die anderen drei AkteurInnen singen, denn das dramatische und musikalische Herzstück des Abends ist Lili Boulangers Kantate „Faust et Hélène“, mit der sie 1913, mit gerade einmal neunzehn Jahren und als erste Frau überhaupt, den renommierten Kompositionspreis „Prix de Rome“ gewann.

Durch einen Zufall ist ein gewisses Maß an sogar recht passender Verfremdung in die Inszenierung geraten: Denn wegen eines Krankheitsfalles im Ensemble musste die Mezzosopranistin Amanda Becker kurzfristig als Hélène einspringen und singt die Partie konzertant, während ihre Rolle auf der Bühne pantomimisch von Judith Shoemaker ausgefüllt wird.

Die Diskrepanz zwischen der musikalisch-dramatischen Leuchtkraft und Tiefenwirkung von Boulangers Musik (arrangiert und durch eigene Bühnenmusik ergänzt von Markus Syperek, der die Vorstellung auch musikalisch leitet) und den recht vordergründig angelegten Schauspielszenen verleiht dem Abend in seinem Gesamtablauf zwar eine fühlbare dramaturgische Unwucht. Diese ist man aber aufgrund der Qualität der musikalischen Performance gern zu verzeihen bereit. Amanda Becker sowie Chunho You als Faust und Miha Brkinjač als Mephisto bringen jedenfalls richtig große Oper auf die kleine Neuköllner Bühne.

Nächste Vorstellungen am 13., 14., 15., 18. und 19. 5., je um 20 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen