: Antworten auf das Leben
„Brüste und Eier“ am Thalia Theater thematisiert Alltag und Geschlecht im patriarchalen Japan
Von Katrin Ullmann
„Ich will hübsche Brustwarzen!“ Hans Löw reckt seinen nackten Oberkörper. „Das kann doch nicht sein. Die sehen aus wie Oreos, du weißt schon, diese Kekse.“ Hübsche Brustwarzen meint helle. Schließlich spielt das Stück und der Roman „Brüste und Eier“ von Mieko Kawakami in Japan und Hans Löw spielt Makiko, die ältere Schwester der Icherzählerin Natsuko.
Weiße Haut und rosa Brustwarzen sind in Japan ein Schönheitsideal. Präparate wie Tretinoin oder Hydrochinon sollen helfen. Das erfährt man, wenn man Kawakamis als feministisch gefeierten Roman aus dem Jahr 2020 gelesen, aber auch, wenn man Christopher Rüpings Inszenierung am Hamburger Thalia Theater gesehen hat. Und man erfährt, dass jene Makiko nicht nur über Aufhellcremes, sondern über eine Brustvergrößerung nachdenkt. Für sie, die als Animierdame arbeitet, eine fast existenzielle Investition in die Zukunft.
Körperoptimierung ist nur eines der Themen, genauso fehlendes Geld, fehlende Väter und ein fehlendes Kind. Makiko, die meist von Hans Löw gespielt wird und dem Oda Thormeyer anfangs in einer Art Puppenspiel ihre Stimme leiht, hat ein Kind: die 12-jährige Midoriko (Julian Greis), die meist herrlich bockig in der Ecke sitzt und ausschließlich mit und über ihr lila Plüschtagebuch kommuniziert.
Gemeinsam besuchen Mutter und Tochter Makikos alleinstehende Schwester Natsuko (Maike Knirsch). Diese lebt in Tokio und versucht sich als Schriftstellerin. Im ersten Teil des Romans (und des Abends) verhält sie sich noch weitgehend unauffällig, im zweiten Teil wächst in ihr ein Kinderwunsch heran und am Ende dann auch ein Kind. Dass es per Samenspende entsteht, wird weitschweifig verhandelt. Mit ethischen (Herkunfts-)Fragen, laut ausgesprochenen Gedankenschleifen zum Antinatalismus, und dem Verweis auf diese schlechte Welt, in die man doch kein Kind mehr setzen dürfe.
„Brüste und Eier“ thematisiert viel – vor allem die weibliche Körperlichkeit. Wachsende Brüste, erste Menstruation und fehlende Sexlust inklusive. So alltäglich diese Themen sind, so unerheblich werden sie an diesem Abend. Da hilft es wenig, dass Rüping sein Ensemble mal wieder nahbar in Szene setzt und den Kontakt zum Publikum sucht. Etwa wenn Knirsch als Natsuko gleich zu Beginn im Publikum um Handzeichen derer bittet, die Kinder oder einen Kinderwunsch haben, um dann die Frage „warum“ hinterherzuschieben.
Dann glaubt man kurz, diese Interaktion führe irgendwohin, um am Ende des Abends festzustellen, dass diese Figur in ihrem Schlussmonolog sich aus einem ganz pur erzählten Geburtsschmerz in beseeltes Mutterglück plaudert.
Dann steht Knirsch wieder an der Rampe, hängeschultrig, aber ganz schön glücklich. Und man fragt sich, warum der Weg zu diesem Glück eigentlich dreieinhalb zähe Stunden dauern musste. Warum zu Abbas „Lay All Your Love On Me“ getanzt werden, warum vernebelte Szenen eines Badehauses nachgestellt, Eierschlachten vollzogen und Teenager-Sinnfragen diskutiert werden mussten. All das geschieht meist mit feierlichem Ernst, in fast betulicher Zeitlupe und freundlich moderiert von Nils Kahnwald. Als Erzähler reicht Kahnwald Klappstühle und Regieanweisungen, später spielt er einen „Spermakönig“, der stolz Zeugungsfähigkeit verkündet, um mit heruntergelassener Hose in einem überdimensionalen Kuschelhasen zu enden.
Weil die Geschichte in Japan spielt, wird hin und wieder auch Japanisch gesprochen (Anna Ayano & Saori Hara) und fleißig übertitelt. Und weil nicht viel auf der Bühne passiert außer Rumstehen, Rumquasseln und Rumstreiten, gibt der Live-Musiker Christoph Hart ab und an sanfte Synthesizersounds dazu. Vermutlich liegt es weniger an den Schauspieler*innen, die sich größtmögliche Glaubwürdigkeit zu erspielen suchen, die munter die Rollen tauschen, die ihre Brüste zeigen und mit Eiern werfen, die sich auch mal mangaartige Pappmasken aufsetzen und dann hübsch verfremdet wirken, sondern am Stoff, dass dieser Abend so unfassbar spannungsarm vor sich hin mäandert. Und am fehlenden Fokus des Regisseurs.
Dass männliche Zeugungsunfähigkeit in Japan eine Schande ist und die Nötigung zur Samenspende bedeutet, mag sein. Dass Brustvergrößerung dort ein großes Thema ist, allein lebende Frauen nicht so leicht eine Samenspende bekommen und die Pubertät kein Spaziergang, ebenfalls. Doch mit diesen Themen bewegt sich der Abend wahlweise im fernen Japan oder in den Banalen des Alltags, verhandelt Spermiogramme, Sinnsuche und Kindheit. „Mich langweilen Familiengeschichten“, heißt es einmal im Text. Mich eigentlich nicht, aber in diesem Fall: „I couldn’t care less“.
„Brüste und Eier“ nach Mieko Kawakami, Fassung und Regie: Christopher Rüping, Thalia Theater Hamburg
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