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Archiv-Artikel

Endlich ein Großer

BASTIAN SCHWEINSTEIGER Auch neben dem Platz dokumentiert der Spaßvogel von früher seine immense Reife. Mittlerweile überblickt der 27-Jährige Gesamtzusammenhänge und ist zum Sprachrohr des Trainers geworden

„Schweinsteiger kann sich noch steigern“

BUNDESTRAINER JOACHIM LÖW

AUS CHARKOW UND DANZIG MARKUS VÖLKER

Bastian Schweinsteiger hatte eine kurze Nacht hinter sich. Das Team musste in Charkow länger auf die Freigabe des Fluges nach Danzig warten. „Der Lotse hat nicht so gut Englisch gesprochen“, berichtete Schweinsteiger am Donnerstag im Lager der Deutschen. „Da muss sich die Uefa mal drum kümmern.“

Die DFB-Elf hatte freilich Glück, denn andere Maschinen mit weniger privilegierten Passagieren standen geschlagene drei Stunden auf dem Rollfeld, ohne dass etwas passierte. Kein Wunder, dass Schweinsteiger viel frischer aussah als die übernächtigten Journalisten, die sich einen Tag nach dem 2:1 gegen Holland ins DFB-Pressezentrum geschleppt hatten, um jenen Mann zu sehen, der zusammen mit Mario Gomez das Match entschieden hatte.

Schweini is back, so lautete die Botschaft. Vergessen ist eine Halbsaison voller Verletzungssorgen. Auch die Enttäuschung aus dem Finale dahoam scheint verflogen. Was doch zwei schöne Steilpässe auf einen Stürmer bewirken können! Keine Frage, diese zwei Aktionen hatten einen therapeutischen Effekt auf Schweinsteiger, der sich ja in der Rolle des Spiellenkers sieht – und nicht in der des Sorgenkindes.

Es ging ihm auch bei dieser Pressekonferenz um ein Dokument seiner Reife. Schweinsteiger analysiert Spielsituationen, wie er das vor einigen Jahren noch nicht gekonnt hätte. Der 27-Jährige mit seinen fast 100 Länderspielen überblickt mittlerweile Gesamtzusammenhänge und denkt analytisch. Das erwartet Bundestrainer Joachim Löw auch von einem aggressive leader, der darüber hinaus Vizekapitän und Mitglied des Mannschaftsrats ist.

Mark van Bommel ist so ein bissiger Spielertypus. Der ehemalige Spieler des FC Bayern taugte lange Zeit als Vorbild. Von ihm hat Schweinsteiger gelernt, dass jeder Spieler „ein bisschen böse sein muss“, wenn es darauf ankommt. Aber Schweinsteiger ist längst eine eigene Marke, und das nicht nur in Werbespots für Kartoffelchips oder kleine Würstchen.

Uli Hoeneß hat die Entwicklung von Schweinsteiger vom Talent aus Kolbermoor hin zum Hero ausm Glockenbachviertel einmal so zusammengefasst: Aus einem flippigen jungen Mann, der keine Orientierung hatte im Leben, sei ein sehr verantwortungsbewusster Spieler geworden, der strategisch und sportlich weiterdenke. Die Zeiten, als das spätpubertäre Juxduo Schweini und Poldi durch die Gazetten geisterte und Schweini der Ruhm etwas zu Kopf gestiegen war, sind vorbei.

Früher wettete Schweini mal oder stieg nachts ins Trainingszentrum ein, um vor anderen ein wenig zu prahlen, heute versucht sich der Herr Schweinsteiger als Fußballdiplomat. So etwa: „Die Mannschaft wird weit kommen, wenn die Defensive steht. Sie ist reifer geworden.“

Schweinsteiger ist längst da angekommen, wo er nach eigenem Bekunden schon immer hingehörte: auf der Sechs. Es ist die Position des defensiven Mittelfeldspielers. „Das ist meine Lieblingsposition, ich wurde da beim FC Bayern ausgebildet.“ Als junger Spieler habe er immer ausweichen müssen auf die Flügel, weil auf der zentralen Position andere das Zepter schwangen: Kovac, Ballack oder Jeremies.

Schweinsteigers Dienste bei Spielaufbau und Ballverteilung sind so wichtig für das deutsche Spiel wie der Energieriegel für einen Langstreckenläufer. „Er bringt auf der Position des Sechsers viel Symmetrie und Ordnung ins Spiel“, lobte Löw. Allerdings ist der Bundestrainer auch der Meinung, dass Schweinsteiger sein Leistungspotenzial noch längst nicht ausgeschöpft hat. „Er kann sich noch steigern“, sagte der Coach. Das klingt wie eine Drohung: Achtung, Konkurrenz, wir können es noch viel besser!

Bei dieser EM betätigt sich Schweinsteiger neben seiner Führungsrolle auf dem Platz auch als Sprachrohr des Trainers. Der legt bei diesem Turnier gesonderten Wert auf eine gute Verteidigung. Es verwundert daher nicht, wenn Schweinsteiger dazu rät, „wie eine Mauer“ zu stehen beziehungsweise „wie eine Wand“. Das sei die Grundvoraussetzung für alles weitere, zum Beispiel für „kurze, schnelle Pässe, um dann effektiv vor dem Tor aufzutauchen.“ Fußball kann so einfach sein. Und so schön wie die Tore von Mario Gomez, die Schweinsteiger geradezu „geschockt“ hätten.

„Wenn er solche Aktionen weiter zeigt, dann müssen wir aufpassen, dass Mario nicht bald nach Brasilien geht“, brachte er eine Gemeinheit unter. Dazu grinste Bastian Schweinsteiger ein bisschen dreckig. Nichts anderes würde man von einem aggressive leader erwarten.