: Politische KulturKiss me, Helmut!
Der Volkszorn zeigt sich an den Wahlplakaten. Nun haben die verschandelten Plakate den Weg ins Museum gefundenWAHLKAMPF Mitunter entlädt sich die Wut mancher Bürger an den Wahlplakaten auf sehr phantasievolle Weise. Der Fotograf F.C. Gundlach hat über einen Zeitraum von 30 Jahren verunstaltete Wahlplakate fotografiert und zeigt diese Bilder derzeit in Hamburg. Aus diesem Anlass hat die taz nord auch einen Blick auf aktuelle Plakat-Manipulationen in Norddeutschland geworfen
VON KLAUS IRLER
Japan kennt sie nicht, Amerika auch nicht, nur in Deutschland gehören Plakate zum Wahlkampf. Sie gehören so sehr dazu, dass sie kaum noch wahrgenommen werden. Zumal sich an der Wahlplakat-Ästhetik scheinbar nichts ändert: Überall dieselben Politiker-Portraits, gerne auch im Dutzend hintereinander. Porentief rein ist Haut, dank Photoshop. Inhalte gibt es keine, geworben wird mit Gesichtern und unverbindlichen Phrasen. Die Qualität der Wahlplakate spiegelt die Qualität des Wahlkampfes: Es fehlen die Themen, der Drive, die Emotionen. Das ist in Hannover nicht anders als in Hamburg, Bremen oder Kiel.
Nun wird am 27. September ein neuer Bundestag und in Schleswig-Holstein ein neuer Landtag gewählt und es gibt ein einziges Wahlplakat, das in Erinnerung bleiben wird. Es hing nur für kurze Zeit, und zwar in Berlin. Es war das „Wir haben mehr zu bieten“-Plakat der CDU-Bundestagskandidatin Vera Lengsfeld. Zu sehen waren darauf das Dekolleté von Lengsfeld und das von Angela Merkel, schrägt von oben fotografiert, damit der Busen optisch zum Hauptinhalt des Plakats wurde. Erstmals in der Wahlkampfgeschichte der BRD operierte ein Wahlplakat mit Erotik. Angela Merkel wollte nichts dazu sagen und Niedersachsens Ministerpräsident und CDU-Vize Christian Wulff war not amused.
Nach der ersten Auflage des Plakats in Höhe von 750 Stück wurde keine zweite Auflage mehr gedruckt. Zu sehen ist das Plakat allerdings noch in der Ausstellung „Wählers Gunst oder Die kleine Rache des Souveräns“, die derzeit im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zu sehen ist. Die Ausstellung zeigt vor allem verunstaltete Wahlplakate aus drei Jahrzehnten, fotografiert auf der Straße von F.C. Gundlach. Beispielsweise gibt es einen Helmut Kohl vor der Bundestagswahl 1976, mit Kussmund und aufreizend gestylte Wimpern. Oder einen Willy Brandt vor der Bundestagswahl 1972 mit Vampirzähnen. Hitlerbärtchen gibt es immer wieder und neben Rudolf Scharping hat vor der Bundestagswahl 1994 jemand geschrieben: „Wenn Wahlen etwas verändern würden, wären sie verboten“.
F.C. Gundlach, 83, begann zur Wahl 1972 damit, verunstaltete Plakate mit seiner Kleinbildkamera festzuhalten. Ihn interessierten die Kommentare der Bürger zu den Plakaten. „Die Manipulationen geschehen häufig in der Anonymität, in der Dunkelheit und sind – sowohl was ihre Fantasie als auch ihre Aggressivität betrifft – unbegrenzt“, sagt Gundlach. Neben den Fotos der Wahlplakate auf der Straße zeigt die Ausstellung Wahlplakate im Original, was mitunter durchaus interessant ist: Eines der ersten Wahlplakate der Grünen zeigt einen Adonis, dessen Gemächt verborgen ist durch eine Faschingsmaske mit Schnauzbart. Eine klare Botschaft transportiert das Motiv nicht, dafür müssen die Grünen in ihren Anfangstagen eine Ader gehabt haben für das Atmosphärische und Assoziative aus der Welt der Kunst.
Rund 2.500 Plakate und Fotografien von Plakaten hat F.C. Gundlach gesammelt. Bei den eigenen Fotos ging es ihm darum, zu dokumentieren, was er vorfand – auf eine zusätzliche künstlerische Gestaltung der Fotos verzichtete er. Mitunter führten die Manipulationen der anonymen Bürger zu durchaus beeindruckenden Collagen: Beispielsweise kommt unter einem zerstörten Helmut Kohl-Plakat ein Helmut-Schmidt-Portrait zum Vorschein, der eine scheint durch den anderen hindurch. Oder der Farbbeutel, der auf dem Willy-Brandt-Plakat von 1972 zerplatzt ist: Auf einmal bekommt der massenhaft verbreitete Politiker seine Persönlichkeit zurück, sinnlich, melancholisch und in der Tradition der Pop Art.
Gewollt haben kann das natürlich niemand. Bezüglich der Motivation der Plakat-Verschandler verweist Kurator Jürgen Döring auf das „Handwörterbuch des Deutschen Aberglauben“, Band 1, 1927. Im dortigen Artikel über „Bild und Bildzauber“ ist von Glaube die Rede: „Was man mit dem Bild vornimmt, geschieht auch mit dem Dargestellten. Das Bild ist Ersatz für das Dargestellte.“ Sollen also Herrn Eckhard Pols nach dem Wunsch der Verunstalter Teufelshörner wachsen? Geht es letztlich um Vodoo in Lüneburg?
Wir wissen’s nicht und Guido Westerwelle wird es auch nicht wissen. Dessen Wahlplakat bedarf keiner Verschandelung, um als ätzender Kommentar auf den Dargestellten zu funktionieren: „Deutschland kann es besser“ haben die FDP-Strategen unter Westerwelle geschrieben. Dem ist nichts hinzuzufügen.
„Wählers Gunst oder Die kleine Rache des Souveräns“: bis 27. September, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg