Prozess wegen Massenmords im KZ: Urteil in Sicht

Einer der letzten NS-Prozesse gegen früheres KZ-Personal läuft in Brandenburg. Posthum wurde die Aussage des Häftlings Leon Schwarzbaum verlesen. ​

Eine umgefallene Mauer, dahinter ein Wachtum

Die historische Lagermauer des KZ Sachsenhausen, beschädigt durch einen Sturm im Februar Foto: dpa

BRANDENBURG/HAVEL epd | Im NS-Prozess gegen einen früheren mutmaßlichen Wachmann des KZ Sachsenhausen ist der vor wenigen Tagen gestorbene ehemalige Häftling Leon Schwarzbaum posthum zu Wort gekommen. „Ich möchte Sie auffordern, die historische Wahrheit zu sagen“, richtete sich Schwarzbaum in seiner schriftlichen Aussage an den 101-jährigen Angeklagten.

Die Zeugenaussage wurde am 28. Verhandlungstag am Freitag von Rechtsanwalt Thomas Walther am Verhandlungsort in Brandenburg an der Havel verlesen. Das Gericht kündigte zugleich an, dass die Beweisaufnahme in der kommenden Woche abgeschlossen werden und ein Urteil möglicherweise am 29. April verkündet werden könnte. (Az.: 11 Ks 4/21)

Der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann betonte zudem, dass zusätzlich zu den bisherigen Anklagepunkten auch eine Verurteilung wegen Beihilfe zum versuchten Mord in den zehn Fällen in Betracht kommen könnte, die die KZ-Überlebenden unter den Nebenklägern betreffen. Außerdem sei eine Verurteilung wegen Beihilfe zum vollendeten Mord an den sechs Häftlingen denkbar, deren Angehörige als Nebenkläger an dem Prozess beteiligt sind, sagte Lechtermann.

Die Staatsanwaltschaft wirft Josef S. Beihilfe zum grausamen und heimtückischen Mord in mindestens 3.518 Fällen vor. Den Ermittlungen zufolge war er in der Zeit zwischen dem 23. Oktober 1941 und dem 18. Februar 1945 SS-Wachmann in Sachsenhausen. Er selbst bestreitet das bisher.

Leon Schwarzbaum, der die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Sachsenhausen sowie zwei Todesmärsche überlebte und selbst 101 Jahre alt wurde, schilderte in seiner schriftlichen Aussage Grausamkeiten und Brutalitäten der SS in den Konzentrationslagern. Der erste Mord vor seinen Augen dort habe sich „unauslöschlich“ bei ihm eingeprägt, betonte er. Ein junges Mädchen, das versucht habe wegzulaufen, sei von einem SS-Mann aus nächster Näher erschossen worden.

Jahrelange Todesangst

Er sei in den Lagern jahrelanger Todesangst ausgesetzt gewesen, betonte er in der schriftlichen Aussage. Schließlich sei er in einem vielfach überfüllten Lager bei Berlin angekommen, „in dem das Leben eines ausgehungerten Juden absolut nichts mehr zählte“. In Sachsenhausen seien sich alle sicher gewesen, dass sie irgendwann erschossen würden, die Welt sei für die Häftlinge „vom unausweichlichen Tod“ bestimmt gewesen.

Er appelliere an den Angeklagten Josef S., Leugnung und Verdrängung aufzugeben und darüber zu sprechen, was er erlebt habe, hieß es in Schwarzbaums Aussage. Die „Missachtung jeglicher Menschenrechte, Gewalt und Hass“ dürften nicht siegen. Auch der Angeklagte habe vermutlich viele Erinnerungen, damit werde er bis zum Schluss alleine sein.

Am Freitag äußerten sich auch erneut zwei historische Sachverständige zu Fragen der Verbrechen und des Lageralltags in den NS-Konzentrationslagern. Weil die SS vor der Lagerräumung 1945 „zielgerichtet und weitreichend“ Unterlagen vernichtet habe, seien jedoch viele Dokumente nicht mehr erhalten, sagte die stellvertretende Leiterin der Gedenkstätte Sachsenhausen, Astrid Ley. Der Angeklagte Josef S. stammt aus einer baltendeutschen Familie aus Litauen und hat nach Ende seiner Kriegsgefangenschaft in der DDR gelebt.

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