: Muss die Bundeswehr jetzt raus aus Afghanistan?
PRO THOMAS GEBAUER ist Geschäftsführer von medico international e. V.
Es ist höchste Zeit, die Voraussetzungen für den Abzug der Bundeswehr zu schaffen. Angesichts des offenkundigen Scheiterns des militärischen Engagements in Afghanistan verbietet sich ein „Weiter so!“. Die Entscheidung für den Rückzug muss heute getroffen werden.
Acht Jahre nach Entsendung der Bundeswehr ist der Frieden in Afghanistan in weite Ferne gerückt. Landesweit eskaliert ein Krieg, dessen Leidtragende vor allem diejenigen sind, in deren Namen die Intervention begründet wurde. Auf alarmierende Weise steigt die Zahl der zivilen Opfer an. Mit jeder Bombe, die heute fällt, stirbt auch die Hoffnung auf Wiederaufbau und Entwicklung. Nicht Demokratie und Wohlstand hat die Intervention den Menschen in Afghanistan gebracht, sondern Armut, Willkür und Gewalt.
Die Enttäuschung der afghanischen Bevölkerung ist groß; der Westen und die von ihm gestützte Karsai-Regierung haben sich zunehmend diskreditiert. Kinder, die den Soldaten anfangs zugewinkt haben, bewerfen diese heute mit Steinen. Bei ihrer Vertreibung hatte kaum jemand den Taliban nachgeweint, heute ist es gerade die militärische Absicherung eines korrupten und von Warlords und Kriegsverbrechern dominierten Staatsapparats, die die Menschen wieder in die Hände der Terroristen und Aufständischen treibt. Weil der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben wurde, war die Intervention von Anfang an falsch angelegt.
Es ist höchste Zeit zur Umkehr. Gefordert ist eine Politik, die die Logik des Kriegs durchbricht. Notwendig ist ein umfassender Strategiewechsel, der zwar unterdessen von vielen gefordert wird, aber so lange nicht gelingen kann, wie die Alternativen selbst immer wieder in den Strudel des militärischen Scheiterns hineingezogen werden. Ohne Disengagement und Einleitung des Rückzugs der Nato-Truppen hat Frieden in Afghanistan keine Chance. Gefordert sind nicht zuletzt die Vereinten Nationen. Es gilt, einen Plan vorzulegen, wie den menschlichen Sicherheitsbedürfnissen der Afghaninnen und Afghanen jenseits einer von der Nato geführten Intervention entsprochen werden kann.
CONTRARALF FÜCKS ist Vorstandsmitglied der Heinrich-Böll- Stiftung
Die Vereinten Nationen wollen Sicherheit und ein Mindestmaß rechtsstaatlicher Ordnung in Afghanistan. Ein gut Teil der afghanischen Bevölkerung will das offenbar auch. Sonst würden die Leute nicht unter Lebensgefahr wählen gehen. Aber die meisten Europäer geizen mit allem, was diesen Zielen zum Erfolg verhelfen könnte. So reicht die militärische Präsenz in der Fläche nicht aus, um den zivilen Aufbau abzusichern, und der zivile Aufbau geht nicht rasch genug voran, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Selbst die Ausbildung der afghanischen Polizei kommt nur im Schneckentempo voran.
Dabei gibt es immer noch gute Gründe, sich für Afghanistan zu engagieren. Von dort ging der Anschlag vom 11. September 2001 aus. Und unter der Herrschaft der Taliban verwandelte es sich in eine Hölle für alle, die nicht in das Weltbild der Gotteskrieger passten, zuallererst für die Frauen. Auch das Schicksal des Atomwaffenstaats Pakistans ist untrennbar mit dem Nachbarn verbunden.
Trotz aller Rückschläge waren die letzten 8 Jahre keineswegs erfolglos. Unter den Taliban lag das Bildungswesen in Trümmern, heute gehen wieder 6 Millionen Kinder zur Schule, davon 2 Millionen Mädchen. Die Gesundheitsversorgung hat sich deutlich verbessert. Nie gab es eine solche Medienvielfalt im Land. Frauen stellen 28 Prozent der Abgeordneten. Ein vorschneller Rückzug der internationalen Truppen würde einen neuen Bürgerkrieg auslösen. Und er wäre lebensgefährlich für alle, die sich im Vertrauen auf die internationale Gemeinschaft für ein neues Afghanistan engagiert haben. Ein Schuft, wer sich so aus seinen Verpflichtungen schleicht.
Richtig ist: So wie bisher geht es nicht weiter. Wir brauchen eine Strategie, die schnellstmöglich die Verantwortung in die Hände der Afghanen legt. Eine internationale Afghanistankonferenz kann dabei hilfreich sein. Obama liegt richtig, wenn er eine allseitige Verstärkung des zivilen und militärischen Engagements betreibt. Nur so lassen sich die Voraussetzungen für einen verantwortlichen Rückzug schaffen.