: Achten Sie auf erregt zitternde Waden
KOSTÜMFILM Perücken wie Wolkenkratzer, spitzbübische Schlitze, wagenradgroße Hüte: Das Zeughauskino feiert ein Filmgenre
VON ANKE LEWEKE
Man traut seinen Augen nicht. Für diese waghalsigen Kleider braucht man einen Waffenschein, so sehr stechen sie ins Augen. „My fair Lady“ (1964) beginnt mit dem Ende eines Opernabends. Die feine englische Gesellschaft hat sich in Schale geworfen und steigt nun die Treppe hinab. Leuchtende Federbüsche thronen auf den Köpfen der Frauen, die hell- bis dunkelviolette Abendroben aus undefinierbaren Materialien tragen. Kokett lugt ein Knie aus einem spitzbübischen Schlitz. Mittenmang ein pinkfarbenes Etwas aus Kunstpelz, dazu die passenden Stöckelschuhe und Seidenstrumpfhosen. Würde man das bodenlange Kleid auf Mini trimmen, der Einlass ins Berghain wäre der Besitzerin gewiss.
Die erste Szene von „My Fair Lady“ ist eine gewaltige visuelle Ouvertüre, eine Modenschau, die die Lust von George Cukors Musical am exzentrischen Outfit und knalligen Farben bereits anklingen lässt. Erzähltechnisch ist sie reiner Luxus, eine wunderbar anzusehende Verschwendung von Stoffen, Knöpfen, Federn, Krägen, Strass und Pailletten – l’art pour l’art – hier feiert sich das Kostüm und ist sich selbst genug. Ohnehin ist „My fair Lady“ alles andere als ein so genanntes period picture. Hier wird das viktorianische England mit dem Kostüm eher zitiert als rekonstruiert. Es darf reiner Schauwert bleiben und die Verwandlung des Blumenmädchens in eine Dame manifestieren. Jeder Auftritt von Audrey Hepburn als rotzfreche Eliza Doolittle wird so zum modischen Spektakel. Wenn sie bei Doktor Higgins zum ersten Vorsprechen erscheint, macht sie mit wagenradgroßem Hut voller bunter Veilchen auf elegante Herrschaft, um später im zartrosa Outfit ihre natürliche Apartheit zu zelebrieren.
„My fair Lady“ ist ein schönes Beispiel für den zeitlosen Kostümfilm. Schaut man sich die anderen Titel der Kostümfilm-Retrospektive im Zeughauskino an, fallen noch weitere Querschläger auf, Filme, die mit den Symbolen und Insignien einer Ära spielen, sie dabei unterwandern oder überhöhen. Mit den wolkenkratzerhaften Perücken in Herzenform, den perlweißen Hemdsärmeln, die ellenlang aus den schwarzen Jacketts hervorschauen, den betont rot geschminkten Wangen setzt Peter Greenaway sein postmodernes Dekonstruktionsspiel in „Der Kontrakt des Zeichners“ auch auf der Ausstattungsebene fort. Greenaway überführt das barocke Setting seiner Kriminalstory in hyperrealistische Tableaus, die sich durch lustvoll gesetzte Verschiebungen letztlich einer zeitlichen Einordnung entziehen. Zum Vorschein kommt stattdessen eine subversive Opulenz. Und was erwartet man anderes von einem Kostümfilm als Üppigkeit, Pomp und Spektakel ?
Im Fall von Stephen Frears’ „Gefährlichen Liebschaften“ möchte man vom Paradox der zurückgenommen Opulenz sprechen. Hier wird an Ausstattung gespart, wirken die Räume seltsam leer, haben die Tableaus etwas Bühnenhaftes, die prunkvollen Kostüme hingegen werden buchstäblich zur zweiten Haut. Das gewagte Rokoko-Dekolleté lässt die Brüste der von Glenn Close gespielten Kupplerin noch praller erscheinen, während die tugendhafte Michelle Pfeifer ihre Reize hinter einer Art Seidenvorhang mit Blümchenrand verbirgt. Wenn sich John Malkovichs Blick dorthin verirrt, sollte man auf seine Waden achten, die erregt zu zittern anfangen. Im Rokoko hat eben auch der Mann sein Bein im Seidenstrumpf allzu gerne zur Schau gestellt.
Jenseits dieser sinnenfrohen Aspekte des Kostümfilms verdeutlicht die Zeughaus-Retrospektive die Ambivalenz des Genres. Einerseits möchte es detailgetreu mit Mustern, Farben und Textilien eine Epoche rekonstruieren, gleichzeitig eine eigene Gegenwärtigkeit entwickeln. Je versessener sich Regisseure in eine Stilrichtung begeben, umso freier kann sich ein Film von der Historie lösen und seine eigene Zeit reflektieren.
Das wusste schon Ernst Lubitsch, der 1919 eine perfekt gepuderte und fesche Hütchen tragende „Madame Dubarry“ nach Versailles schickt. Im Gewand einer koketten Rokoko-Ikone verdreht Pola Negri nicht nur den Herren am Hofe den Kopf. Wenn sich die Schnüre ihres Kleides lösen, erzählt sie auch von einem neuen freiheitlichen Geist, der in Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg wieder weht.
P. S.: Im Zeitalter der digitalen Trickkiste hat es etwas Beruhigendes, dass das Kostüm meistens noch per Hand maßgeschneidert wird und dass es einen physischen Ort, den Kostümfundus, für seine Aufbewahrung gibt. So bleibt dem Kino im wahrsten Sinne des Wortes immer noch ein Stück Stofflichkeit erhalten.
■ Kostümfilme: bis 31. Juli im Zeughauskino, Programm unter www.dhm.de