kritisch gesehen: Nie keine Schlechtigkeit zu begehen, ist böse
Manege frei: Der von Peter Weiss in den frühen 1960er-Jahren als Kasperlespiel in elf Bildern gefertigte Text „Wie dem Herrn Mockinpott das Leiden ausgetrieben wird“ ist am Staatstheater Braunschweig als Clownsnummer zu erleben.
Im Zirkusbühnenbild schlummert Unglückswurm Mockinpott (Opernsänger Zachariah Kariithi) seiner traurigen Spaßmacherei entgegen. Ein Fuß ist in Eisen gelegt. Ein mokanter Wärter erweckt den empörten Häftling: „Das geht zu weit, das ist keine Art, / dass man mich hier widerrechtlich verwahrt.“ Die betont rumpeligen Knittelreime bestimmen das Stück und somit auch Mockinpotts pikiertes Nachfragen, warum ein unbescholtener Bürger wie er im Gefängnis sei und wer dafür die Verantwortung trage?
Antwort: keine. Nur weitere Ausgrenzung nach der Entlassung – durch die Gattin, die ihn verstößt, und vom Arbeitgeber, der eine Weiterbeschäftigung ausschließt. So wird der Befrager der Welt zum Beschwerdeführer. „Gibt es denn keine Gerechtigkeit, / hab nie begangen keine Schlechtigkeit“, singt Mockinpott selbstsicher empört. Nie keine Schlechtigkeit zu begehen – bedeutet, immer eine zu begehen. Dazu reimt Autor Weiss „schuldig“ auf „geduldig“. Das muss der Protagonist im Folgenden verstehen lernen. Ja, er hat sich bisher brav an Befehle und Gesetze gehalten, war funktionierende Marionette des Systems. Genau das ist sein Versagen. Kann der Konflikt dialektisch vermittelt werden?
Die derb-komische Schauspielzirzensik, Regie Christoph Diem, passt prima zur mit Lehrstück-Auszeichnung aus der Brecht-Schule verabschiedeten Moritat. Mit Clown Mockinpott als naivem Stauner über die Absurdität der Welt und duldsamen Poeten der Sinnlosigkeit seines Lebens. Was sagen Politiker dazu? Als Dressurnummer mit Bär und Faultieren kommen sie zu Wort und verknoten PR-Textbausteine zu Verlautbarungs-Blabla. Gott, die zynisch gewordene Zirkusdirektorin, weiß auch nicht zu helfen. Drum greifen Ärzte zu Hammer und Brecheisen, um Mockinpott als dem empfindenden Wesen auf der Bühne per Hirn-OP die Reste individueller Menschlichkeit zu nehmen. Seine zuvor baritonal dahinschmelzende Eleganz weicht nach der Behandlung rezitativem Sprechkrächzen.
Die Ästhetik zur Erweckung von Widerstandsgeist könnte nun die Uraufführung von Stefan Litwins durchkomponierter Textvertonung sein. Die aber evoziert weder eine gedankenvolle Wut auf die Anpasserei noch provoziert sie Wehrhaftigkeit. Sie bläht nur die einfache Moralität auf. Das nimmt dem vergnüglichen Text seine Klarheit und Kraft, zudem bremsen die konsequent mit der Musik synchronisierten Gesten und Gänge die Dynamik des ansonsten überzeugenden Spiels. Jens Fischer
„Wie dem Herrn Mockinpott…“: wieder am 27. 3. sowie am 1., 8. und 14. 4., jeweils um 19.30 Uhr, am 10. 4. um 18 Uhr, Staatstheater Braunschweig, Kleines Haus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen