piwik no script img

Vertrauen in den Weg

Dieter Marx pilgert mehrere Wochen im Jahr, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Der 73-Jährige startet von Stade aus. Die Unterkünfte bevorzugt er einfach, sein Gepäck möglichst leicht. Dann kann es losgehen. Auch in Norddeutschland gibt es viele Pilgerwege in Richtung Italien und Spanien

Von Joachim Göres

„In meinem Leben ist es mir sehr gut ergangen. Ich gebe dem lieben Gott jetzt etwas von der Zeit zurück, die er mir geschenkt hat.“ Das sagt Dieter Marx, wenn man ihn fragt, warum er sich seit Jahren immer wieder auf Pilgertour begibt. Zwei bis drei Wochen ist er dann allein unterwegs, zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Sein aktuelles Projekt ist die Via Romea. Er wandelt auf den Spuren von Abt Albert von Stade, der 1236 von Stade bis nach Rom pilgerte. Diese Strecke will der 73-Jährige mit dem Fahrrad zurücklegen.

Das Pilgern beschreibt eine Reise zu einem heiligen Ort. Im Mittelalter wollten sich Christen durch die Reise von ihren Sünden befreien und eine Nähe zu Gott spüren. Heute geht es vielen Pilgern auch um eine persönliche Herausforderung.

Die ersten 500 Kilometer seiner Pilgerreise hat Marx vor zwei Jahren von seinem Wohnort Stade bis nach Würzburg geschafft, mit täglichen Touren zwischen 80 und 100 Kilometern. 2021 fuhr er dann von Würzburg nach Oberammergau und in diesem Jahr soll es von dort bis nach Norditalien gehen. „Mit dem Fahrrad schaffe ich längere Strecken, außerdem bin ich so flexibler“, sagt Marx.

Auf seinem Weg steigt der Pilger nicht einfach im nächstbesten Hotel ab: „Ich rufe bei Kirchengemeinden an und frage, ob ich bei ihnen übernachten kann. Wenn das nicht klappt, dann kann ich mit dem Rad auch noch etwas weiter zur nächsten Gemeinde fahren“, sagt Marx. „In zehn Jahren habe ich nur ganz wenige Absagen von Pastoren bekommen.“

Die Pilgerwege, auf die er sich begibt, beginnen nicht erst in Italien oder Spanien, sondern vor der eigenen Haustür in Norddeutschland (siehe Karte). Den niedersächsischen Teil des Weges von Stade über Celle, Braunschweig, Wolfenbüttel und Hornburg im Harz nach Würzburg kann Marx allerdings nur bedingt empfehlen. Er führt vor Celle über Straßen eines Truppenübungsplatzes. Dafür sei die Übernachtung beim Pastor in Wienhausen umso angenehmer gewesen: „Er hat mich nett empfangen und mir Butterbrote gemacht. Und das Kloster von Wienhausen ist eindrucksvoll.“

Marx schaut sich auf seinem Weg Gotteshäuser an, spricht ein Gebet, kommt mit anderen Menschen ins Gespräch, schreibt ein Pilgertagebuch. Er bevorzugt einfache Unterkünfte.

Davon gibt es auf dem Mönchsweg von Puttgarden auf Fehmarn über Stade bis ins 530 Kilometer entfernte Bremen nicht allzu viele. „Das ist ein schön angelegter Fahrradweg, allerdings eher kommerziell wegen der meist teuren Übernachtungsstätten“, sagt Marx.

2007 haben Touristikverbände und Kirchengemeinden in Schleswig-Holstein den Mönchsweg für Radfahrer eingerichtet, kurz nach dem von Hape Kerkeling ausgelösten Pilgerboom. Unterwegs kann man Station an alten Kirchen und in Bibelgärten machen und dort Stille, Meditation und Musik genießen.

Es gibt entlang der schleswig-holsteinischen Strecke wenige einfache Pilgerunterkünfte. Stattdessen wird auf Pensionen und Hotels verwiesen und den Reisenden auch ein Pauschalpaket mit bequemen Übernachtungsmöglichkeiten angeboten. „Für einige ist der religiöse Bezug sehr wichtig, für andere gar nicht“, sagt Dagmar Ott, Geschäftsführerin des Planungsbüros Lebensraum Zukunft. Nach ihren Worten nutzten höchstens 20 Prozent den von den Mönchsweg-Machern herausgegebenen Radpilgerpass, den man an Stationen unterwegs abstempeln lassen kann.

Marx gehört zu dieser Minderheit. Er sammelt Pilgerstempel. Einer stammt aus Lübeck von der St.-Jacobi-Kirche. Sie liegt an der Via Baltica, einem von bundesweit 30 Jakobswegen, der von Usedom bis nach Bremen führt, als Teilstrecke auf dem Weg zum Apostelgrab in Santiago de Campostela in Spanien. Die St.-Jacobi-Gemeinde hat neben der Kirche eine Pilgerunterkunft eingerichtet, mit älteren Möbeln und Mehrbett-Zimmern. „Das war mehr als super, schön einfach und ich hatte die Räume für mich ganz alleine“, erinnert sich Marx.

Auffällig ist, wie viele evangelische Kirchengemeinden sich für Pilgerwege engagieren. Hatte doch Martin Luther einst gefragt, ob in Santiago de Compostela wirklich der Apostel Jakobus oder nicht nur ein toter Hund begraben liege und das Pilgern als Teil des Ablasshandels abgelehnt. „Heute pilgert kaum noch einer, um sich von seinen Sünden zu befreien. Luthers Kritik hat sich überholt“, sagt Kathrin Jedeck. Sie ist Pilgerpastorin des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg und bietet in der St.-Jacobi-Kirche für die Menschen auf der Via Baltica einen Pilgersegen an.

Marx schätzt auch das Pilgern zu Fuß. Nach seiner Erfahrung kann man gut drei Kilometer in der Stunde und 24 Kilometer am Tag gehen. Für dieses Jahr hat er sich die Pilgertour zwischen den beiden Klosterorten Loccum in der Nähe des Steinhuder Meeres bis Volkenroda vorgenommen. Sein Tipp: „Nicht mehr als zehn Prozent des Körpergewichts an Gepäck mitnehmen. Die ersten Übernachtungen vielleicht vorbuchen. Alles andere wird sich finden. Einfach Vertrauen in den Weg haben.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen