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Kopf-an-Kopf-Rennen bei Wahl in Südkorea

Widersprüchliche Nachwahlbefragungen bei der Präsidentschaftswahl

Von Fabian Kretschmer , Peking

Es ist das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen geworden: Bis Druckschluss lagen die zwei führenden Präsidentschaftskandidaten nahezu gleichauf. Nur mit einem hauchdünnen Vorsprung führte der linksgerichtete Lee Jae-myeong von der regierenden Demokratischen Partei in einer Nachwahlbefragung. Den stramm konservativen Yoon Suk-yeol, ein politischer Quereinsteiger, sieht hingegen eine andere Nachwahlbefragung vorn. Doch hört man sich unter Südkoreanern um, dann gab es ohnehin nur die Wahl zwischen Pest und Cholera.

Tatsächlich war der Wahlkampf der polarisierendste und schmutzigste seit der Demokratisierung des Landes 1987. Die Kampagnen von Lee und Yoon waren von Korruptionsskandalen überhäuft, zudem teilten beide mit Anschuldigungen unterhalb der Gürtellinie aus. Inhaltlich hingegen konnte keiner der beiden glänzen. Von daher ist umso erfreulicher, dass die Wahl trotz allem 77 Prozent aller Berechtigten zum Urnengang motivieren konnte. Laut nationaler Wahlkommission gaben über 34 Millionen Koreanerinnen und Koreaner ihre Stimme ab. Und das, obwohl die Omikron-Infektionen derzeit auf Rekordniveau liegen. Über 340.000 Ansteckungen wurden zuletzt pro Tag gezählt. Damit liegt die vielleicht größte Leistung des scheidenden Präsidenten Moon Jae-in der letzten zwei Jahre in Scherben: Schließlich hat der 69-Jährige sein Land zuvor kompetent durch die Pandemie geführt. Die Sterberaten lagen weit unter denen europäischer Länder, dabei hatte Südkorea nie einen flächendeckenden Lockdown verhängt.

Doch das Land steht auch sonst vor großen Herausforderungen: Die Alterung der Gesellschaft schreitet rapide voran, die Geburtenrate sinkt von einem Rekordtief zum nächsten und die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Vor allem aber machen der urbanen Jugend die immensen Immobilienpreise zu schaffen – ein Problem, das der scheidende Moon trotz Regulierungen eher nur verschärft hat. Der Ausgang der Wahl wird auch über die eigenen Landesgrenzen hinaus Auswirkungen haben. Der konservative Yoon möchte die Sicherheitsallianz mit Washington stärken und den Ton gegenüber Nordkoreas Regime verschärfen. Zugleich spricht sich der ehemalige Staatsanwalt für eine Wiederbelebung der Beziehungen zu Japan aus. Lee hingegen steht für einen Annäherungskurs gegenüber Kim Jong Un, ja er möchte dessen Regime gar mit zaghaften Wirtschaftskonzessionen für eine schrittweisen Abbau des Atomprogramms motivieren. Und auch in Bezug auf China will er anders als Yoon polarisierenden „Antagonismus“ vermeiden. Die USA dürften dies mit Argusaugen beobachten.

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