: Jeder bringt seine eigene Welt mit
Musiker aus aller Welt, angezogen vom Schmelztiegel Berlin, sind Teil der Improvisationskommune Spiritczualic Enhancement Center. Porträt einer Vielheit
Von Andreas Hartmann
Ein verranzter Hinterhof, irgendwo in Neukölln. Hier befindet sich das Studio von Alex Jovanovic, dem Synthesizer-Mann der Improvisationskommune Spiritczualic Enhancement Center. Wie viele Mitglieder die Band genau hat, weiß diese selbst nicht. Mal kommt einer dazu, mal geht einer. „Acht, neun Leute“ seien es, so Nicolas Sheikholeslami, der Schlagzeuger des Kollektivs. Es können aber auch mal weit mehr und dann wieder weit weniger sein. Und diese kommen von überallher, aus Rumänien, den USA, Iran, Israel Japan. Musiker aus aller Welt, angezogen vom Schmelztiegel Berlin, die hier dies und das machen und nebenbei Teil dieser abgefahrenen Space-Jazz-Truppe sind. „Wir proben auch nicht im klassischen Sinne. Sondern wir versuchen einfach nur, so oft es geht, miteinander Musik zu machen. Was schwer genug ist, da die Leute ja an den unterschiedlichsten Orten wohnen“, so Sheikholeslami.
Jovanovics Studio ist vollgestellt mit Instrumenten aller Art. Bratsche, Violine, eine Saz, eine Zither, eine bauchige Kalebasse, alles steht hier herum. Und natürlich zig Synthesizer. Jovanovic sammelt Instrumente, sagt er, und das sieht man auch.
Man macht es sich gemütlich bei ihm. Es darf geraucht werden und es läuft eine alte Vinyl-Schallplatte der libanesischen Sängerin Fairuz. Es wirkt alles so, wie man sich das vorstellt, wenn man sich den von Einflüssen aus aller Welt gespeisten Sound des Ensembles anhört.
Was Spiritczualic Enhancement Center so zusammenbrauen, ist von der Herangehensweise her Jazz, nämlich frei improvisierte Musik, die an Miles Davis ab Ende der Sechziger erinnert, als der Rock und Funk für sich entdeckte. Wie der Electric Miles von damals lieben es auch die Berliner, endlos zu dudeln und zu grooven, was das Zeug hält. Nur dass hier keine Trompetentöne dazwischenfunken und auch sonst keine Bläser. Es bleibt Polyrhythmik plus Groove plus Synthiegezwitscher.
„Krautjazz“ nennt das Berliner Label Kryptox, auf dem die aktuelle Platte des Ensembles mit dem Titel „Carpet“ erschienen ist, die Art von Musik, die es zu beackern gedenkt. Also Jazz, der auch auf den verdrogten sogenannten Krautrock der Siebziger verweist. Jazz, der gleichzeitig etwas anderes ist als Jazz im herkömmlichen Sinne. Als „Krautjazz“ kann man den Sound der Berliner jedenfalls sehr gut durchgehen lassen.
Der Bezug auf Miles Davis wiederum lässt sich auch hinsichtlich der Produktionsweise bei den Berlinern finden. Miles Davis Hausproduzent Teo Macero ließ den Trompeter samt Band jammen wie der wollte, pickte sich dann die besten Stellen heraus und verlötete sie so, dass man trotzdem das Gefühl hat, man höre eine Session, die in einem Guss entstanden ist. Und auch für „Carpet“ wurden Live- und Studioaufnahmen herangezogen, erzählt Nicolas Sheikholeslami, Stücke, die sich auch mal schier endlos hinzogen. Und Sheikholeslami machte dann den Macero, schnitt hier mal einen Part heraus und mal dort, immer auf der Suche nach „den goldenen fünf Minuten“, wie er das beschreibt. Allein im letzten Jahr habe er so Stoff für vier weitere Alben des Ensembles zusammengeschraubt, die nun nach und nach erscheinen sollen.
Als nächstes wird ein Live-Album gemeinsam mit Damo Suzuki herausgebracht, das noch kurz vor Beginn der Corona-Pandemie Anfang 2020 im Berliner Club Arkaoda eingespielt wurde. Suzuki war einst Sänger der sagenumwobenen Krautrockband Can, die übrigens auch dafür bekannt war, ständig Sessions mitzuschneiden, aus denen dann in Tüftelarbeit funktionierende Stücke für die Schallplattenveröffentlichungen herausdestilliert wurden. Suzuki ist schon seit vielen Jahren als Musiknomade unterwegs. Er tritt mal in dieser Stadt auf, dann in jener, und kein Mensch, nicht mal er selbst, weiß vorher, was genau passieren wird. Stets sucht er sich spontan Musiker zusammen, mit denen er vor Ort etwas auf die Beine stellen kann.
Als er nun für einen Auftritt in Berlin gebucht war, fragte er im Umfeld des Arkaoda-Clubs herum, ob jemand eine Idee habe, wer zu ihm passen könnte. Und so wurde ihm das Spiritczualic Enhancement Center empfohlen. Zum Glück, kann man da nur sagen, wenn man hört, was bei dem gemeinsamen Auftritt in Berlin entstanden ist.
Auf den drei Stücken, die auf der Ende April erscheinenden Platte gelandet sind, macht das Ensemble ordentlich Klang-Voodoo und Suzuki bringt dazu seinen improvisierten Gesang so selbstverständlich ein, als wäre hier eine seit Jahren eingespielte Combo zugange, die freilich noch kurz vor dem Auftritt jede Menge halluzinogene Pilze zu sich genommen hat. Das Spiritczualic Enhancement Center ist keine klassische Band, das wurde bereits deutlich. Es ist ein loses Kollektiv ohne Fixpunkt, zusammengehalten durch menschliche Verbundenheit. Das betonen die beiden Musiker des Ensembles immer wieder. „Es gibt keinen Leader bei uns“, sagt Alex Jovanovic, “jeder bringt vielmehr seine eigene Vorstellung, seine eigene Welt mit in die Band.“ Und Nicolas Sheikholeslami ergänzt: „Oft trinken wir mehr Kaffee miteinander, als dass wir Musik machen. Aber das Menschliche ist eben wichtig, alle müssen sich wohlfühlen. Und die Entspannung untereinander schlägt sich auch im Sound nieder, denke ich.“
Spätestens hier endet dann auch der Vergleich mit Miles Davis. Der Trompeter war immer der Chef und achtete penibel darauf, dass seine musikalischen Mitstreiter das ausführten, was er von ihnen verlangte. Und wehe, einer verspielte sich mal. Trifft sich das Spiritczualik Enhacement Center dagegen, so Sheikholeslami, „dann spielen wir einfach. Egal ob richtig oder falsch.“
Spiritczualic Enhancement Center: „Carpet“ (Kryptox)
Damo Suzuki & Spiritczualic Enhancement Center: „Arkaoda“ (Akuphone)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen